• 27.12.2009, 18:21:59
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"Die Presse" Leitartikel: Auch in Goldgruben kann man fallen, von Karl Gaulhofer

Ausgabe vom 28.12.2009

Wien (OTS) - Die Ostpioniere zeigten Mut und ernteten Skepsis. Der
fatale Übermut der Banken aber stört nur wenige.

Wer sich selbst auf die Schulter klopft, kann ganz schön nerven. Man
höre österreichischen Osteuropapionieren zu, wenn sie ihre
Heldensagen zum Besten geben: wie sie seit 1990 mit Kapital, Know-how
und Schmäh den darniederliegenden Ex-Ostblock erobert hätten, noch
bevor der Rest Europas bis drei, three, trois oder tre hätte zählen
können.
Es ist menschlich verständlich, dass so viel Selbstgefälligkeit auf
Skepsis stößt. Warum sind die Mächtigen so scharf auf Osteuropa? Weil
sie dort billig produzieren können. Auf der Strecke bleibt der kleine
Mensch von Österreich, dem der eisige Wind der Globalisierung den
Lodenhut vom Kopfe fegt. Dabei hatten wir es so gemütlich, damals in
den seligen 80er-Jahren.
Ob so viel ahnungsloser Zweifel seufzen die Manager: Warum sind die
Politiker zu schwach, um den Menschen zu erklären, wie gut es ihnen
geht? Die Angeseufzten aber schotten den Arbeitsmarkt ab, um sich
nächtliche Albträume von Wahltriumphen der Rechten zu ersparen.
Also plädieren jetzt wir für die Sache der selbstgefälligen Schlauen.
Ja, sie sind nicht von ungefähr Eliten. Ihr unternehmerischer Mut in
CEE lässt uns besser leben. Und die Ökonomen, die uns das vorrechnen,
sind auch nicht auf den Kopf gefallen.
Ein Prozentpunkt mehr Wachstum als Deutschland, und das Jahr für Jahr
- da müssen wir den Bossen ihr Selbstlob wohl verzeihen. Vor allem
aber ist die Wahrheit allen zumutbar. In einer Welt, in der
Milliarden Menschen endlich die Chance haben, sich aus der Armut zu
befreien, und dafür mit aller Kraft kämpfen, gibt es keine Inseln
wohlfahrtsstaatlicher Seligkeit mehr. Wer aber beim Wort
"Globalisierung" nicht in Panikattacken verfällt, wer seine
rot-weiß-roten Fähnchen in neue Absatzmärkte pflanzt, kann weiterhin
gewinnen.
Worauf muss er setzen? Auf moderne Technologie und Hirnschmalz.
Weniger gefragt sind kräftige Hilfsarbeiter oder flinke Näherinnen -
kommen sie aus dem Inland, sind sie schlicht zu teuer. Was bedeutet,
dass sich gering Qualifizierte schwerer tun. Nur bietet ihnen eine
prosperierende Wirtschaft die Chance, dazuzulernen und sich einen Job
mit Zukunft zu sichern - zumal dann, wenn der Staat seine noble
Aufgabe erfüllt, ihnen dabei zu helfen.
Bei alldem sinkt Österreichs Lohnquote stärker als anderswo. Eine
Gefahr? In einem reicher werdenden Land erzielen auch
Unselbstständige Kapitalerträge. Und die hohen Gewinne der Firmen
werden reinvestiert oder an Aktionäre ausgeschüttet. Nur in raren
Fällen Dagobert-Duck'scher Gier verschwinden sie auf Dauer in
Tresoren oder werden fahrlässig verspekuliert.

Es sei denn, eine Branche verfällt vom Mut in fatalen Übermut. Das
ist der Sündenfall von vier großen österreichischen Banken. Sie haben
mit ihren Rücklagen ihre Position im Osten aggressiv weiter ausgebaut
und Kredite unters Volk gebracht, als gäbe es kein Morgen. Gepumptes
Geld für den Wocheneinkauf und den Handyvertrag, schwach besichert
und am besten noch in Devisen, egal, wie wacklig die Heimwährung
dasteht. So wurden finanzschwache Ungarn, Rumänen und Ukrainer zu
hochgefährdeten Minispekulanten erzogen. Und dann kam die Krise.
Heute haben diese Institute Außenstände im Osten, die höher sind als
Österreichs BIP. Mit langen Kreditstundungen beschönigen sie die
triste Wahrheit in ihren Bilanzen. Aus der Goldgrube wurde eine
Zeitbombe. Ob sie zündet, hängt davon ab, auf welchen Wachstumspfad
die Region zurückfindet. Fällt er flacher aus als in Westeuropa, wie
Nationalbank-General Nowotny fürchtet, wird es teuer - vor allem für
die Steuerzahler. Schon heute fließt das Gros der Bankenstaatshilfen
in den Osten.
Doch siehe da: Das alles empört die Österreicher, die dem Heldentum
der Realwirtschaftler misstrauten, gar nicht. Die PR-Abteilungen der
Banken können sich die Hände reiben. Denn böse Ausländer kamen ihnen
zu Hilfe und wagten es, die Wahrheit zu sagen. Ein Schulterschluss,
wie einst bei Waldheim: Nein, von Londoner Analysten und
US-Nobelpreisträgern lassen wir uns nicht erklären, wir hätten etwas
falsch gemacht. Beim Wort "Ratingagenturen" gefriert selbst
Wirtschaftskammer-Präsident Leitl das notorische Lächeln im Gesicht.
Es regiert der patriotische Reflex.
Wir sollten besser zusehen, dass wir aus dem verschleppten
Schlamassel wieder rauskommen. Und uns überlegen, wie wir neue wilde
Märkte wie China, Indien und Brasilien nutzen können, bevor sie das
alte Europa an die Wand drängen. Die Globalisierung hat das nächste
Kapitel aufgeschlagen. Wie immer ein unvermeidliches Risiko. Wie
immer eine große Chance.

Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
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