• 17.09.2009, 14:05:37
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EU-Unterausschuss: Kritische Stimmen zu Stockholm-Programm Debatte darüber soll im Oktober fortgesetzt werden

Wien (PK) - Kritisch verlief auch die Diskussion im EU-Unterausschuss
über die Mitteilung der Kommission mit dem Titel "Ein Raum der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienst der Bürger", worin
eine tiefere Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz angestrebt
wird. Der Ansatz der Kommission, die Bürgerinnen und Bürger in den
Mittelpunkt zu stellen, wurde jedoch grundsätzlich begrüßt.

Die Mitteilung enthält allgemeine Zielsetzungen, die dann im so
genannten "Stockholm-Programm", das dem Haager Programm folgen soll,
konkretisiert werden. Dieses Stockholm-Programm liegt jedoch noch
nicht vor und wird laut Aussage von Justizministerin Claudia Bandion-
Ortner in der zweiten Oktoberhälfte erwartet. Dies war unter anderem
ein Grund dafür, dass die Diskussion darüber heute nicht beendet
wurde, sondern im Oktober fortgesetzt werden soll. Die Abgeordneten
hegen teils große Bedenken gegen die Vorhaben und wollen daher mit
allen beteiligten Ressorts ausführlich über die einzelnen Aspekte
diskutieren.

Zielsetzungen der Kommission

In ihrer Mitteilung nennt die Kommission vier politische Prioritäten:
Die Förderung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger - Europa als
Garant der Grundrechte und Grundfreiheiten; Erleichterungen für die
Bürgerinnen und Bürger - Europa als Raum der justiziellen
Zusammenarbeit; Schutz der Bürgerinnen und Bürger - Europa, das
Schutz bietet (Intensivierung der Zusammenarbeit der Polizei- und
Justizorgane); Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts -
Europa der Solidarität.

Zu jedem Bereich listet die Kommission konkrete Maßnahmen auf,
beispielsweise den Beitritt der EU zur Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK), bessere Ausschöpfung der
finanziellen und rechtlichen Mittel im Kampf gegen Diskriminierung,
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie und umfassende und
einheitliche Regelungen zum Schutz personenbezogener Daten. Weitere
Vorschläge betreffen das Zivil- und das Strafrecht im Hinblick auf
Mindestnormen, Angleichung von Verfahren und gegenseitige
Anerkennung, aber auch eine Erweiterung des Bildungsangebots für alle
Rechtsberufe. Ein besonderes Anliegen stellt auch die Bekämpfung der
organisierten Kriminalität dar (Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung
und Kinderpornographie, Cyberkriminalität, Wirtschaftskriminalität,
Drogenbekämpfung, Verringerung der terroristischen Bedrohung). Die
Kommission spricht in diesem Zusammenhang von einer Entwicklung einer
gemeinsamen Sicherheitskultur, von einer wirksameren Zusammenarbeit
der Polizeibehörden und einem Informationsmanagement. Schließlich
befasst sich die Mitteilung mit Asyl und Einwanderung und fordert
eine dynamische Einwanderungspolitik, die im Einklang mit
Arbeitsmarktbedürfnissen steht, die Einführung eines
Einwanderungskodex, der legalen Einwanderern einen einheitlichen
Rechtsstatus garantiert, und eine wirksamere Eindämmung der illegalen
Einwanderung.

Bandion-Ortner: Bestandsaufnahme vor Schaffung neuer Rechtsakte

Bundesministerin Claudia Bandion-Ortner begrüßte das Ziel der
Kommission, Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zum Recht
grenzüberschreitend zu erleichtern. Es wäre ein Vorteil, wenn jeder
einen leicht verständlichen und effizienten Rechtsrahmen innerhalb
der EU vorfindet, sagte sie. Bevor man jedoch neue Rechtsakte
schafft, sollte in den Mitgliedstaaten und in der EU eine
Bestandsaufnahme gültiger Rechtsakte vorgenommen werden. Erst
aufgrund von Erfahrungen sollte man neue Rechtsakte schaffen.

Für sie habe die Verbesserung des Zugangs zum Recht absolute
Priorität. Bandion-Ortner sah in diesem Zusammenhang vor allem im
Bereich der modernen Technologien eine enorme Chance. So sei
beispielsweise ein E-Justice-Portal geplant, wo man unter anderem ein
Register für Dolmetscher und Sachverständige finden kann oder
Firmenbücher abrufbar sind. Auch Einvernahmen über Videoaufnahmen
würden mehr Effizienz bringen.

Gleichzeitig müsse man sich aber auch auf eine wirksamere
Strafverfolgung im grenzüberschreitenden Bereich konzentrieren,
stellte die Justizministerin fest. Das betreffe beispielsweise die
Wirtschaftskriminalität und den Internetbetrug, weshalb eine gute
Vernetzung notwendig sei. Man habe jedoch darauf zu achten, dass die
Rechte der Bürgerinnen und Bürger gewahrt bleiben, dass eine Balance
zwischen den Interessen des Einzelnen und des Datenschutzes
einerseits und einer effektiven Strafverfolgung andererseits gewahrt
wird, unterstrich die Justizministerin.

Bedenken der Abgeordneten

Abgeordneter Johann Maier (S) hielt eingangs fest, dass er eine
umfassende Diskussion unter Einbeziehung des Justiz-, des Innen- und
des Sozialressorts für unumgänglich halte. Ziel dieser intensiven
Diskussion müsse es sein, eine Ausschussfeststellung unter breitem
Konsens zu formulieren, da durch die Vorhaben der EU neue politische
Felder berührt werden, die in Österreich noch nicht entsprechend
diskutiert wurden. Maier sprach vor allem das datenschutzrechtliche
Problem an und vertrat die Auffassung, dass zwischen dem
begrüßenswerten Ansatz der Kommission in der gegenständlichen
Mitteilung und der legistischen und politischen Praxis der letzten
Jahre ein Widerspruch besteht. Man müsse sich angesichts der
unterschiedlichen Standards in den Mitgliedländern auch eingehend mit
der Frage befassen, wie der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung
verwirklicht werden kann, betonte Maier. Ein zentrales Problem liegt
für ihn auch in den Passagen der Mitteilung zur Beweisanordnung.

Als eines der spannendsten und kontroversiellsten Themen bezeichnete
Abgeordneter Wolfgang Schüssel (V) das geplante Stockholm-Programm.
Einerseits sei es für die mobilen Bürgerinnen und Bürger
außerordentlich wichtig, ihre Rechte auch in anderen Staaten leichter
wahren zu können. Andererseits bestehe aber die große Gefahr neuer
Gemeinschaftsrechte, die das Subsidiaritätsprinzip untergraben. In
den Mitgliedstaaten seien traditionell unterschiedliche Rechtssysteme
gewachsen, und die EU-Vorhaben könnten zu einem Einfallstor für
Zentralismus werden, befürchtete er. Schüssel nannte in diesem
Zusammenhang die Frage des Status legaler Zuwanderer und die
Asylverfahren. Österreich müsse sich daher in die Europäische
Diskussion stark einbringen und zwar seitens aller Ministerien. Ihm
schien daher die Schaffung einer "interministeriellen Task-Force"
unbedingt notwendig.

Daraufhin reagierte Johannes Jarolim (S) mit dem Hinweis, man solle
nicht so zögerlich diskutieren, sondern die Chance, in den
internationalen Dialog einzutreten, erfassen und sie dazu nützen,
eine Optimierung der Ist-Situation vorzunehmen. Jarolim hielt zum
Beispiel die Rechtsdatenforschung in Österreich für wichtig. Er
thematisierte auch die Abschöpfungen, die man als eine Einnahmequelle
heranziehen könne, um weitere Verbesserungen im Justizbereich zu
erzielen. Das könnte sich laut Jarolim wieder positiv auf die Senkung
der Kriminalitätsrate auswirken.

Eine weitere Vertiefung innerhalb der EU wurde von Abgeordnetem
Johannes Hübner (F) strikt abgelehnt. Das geplante Stockholm-
Programm würde seiner Meinung nach zu einem Zentralisierungsschub
führen und die nationalen Rechtssysteme zerstören. Seitens der FPÖ
komme daher ein klares Nein zu diesem Vorschlag, unterstrich Hübner.
Für ihn sind insbesondere die Passagen des Papiers, die die
Gleichstellung betreffen, problematisch. Man würde das heimische
System einer fremden Bürokratie angleichen, sollten die Vorhaben zur
Antidiskriminierung Realität werden, mutmaßte Hübner. Die Punkte zu
Einwanderung und Asyl klängen schön, sie kämen aber einer
Einwanderungseinladung gleich, so sein Resümee.

Ähnlich ablehnend äußerte sich Abgeordneter Ewald Stadler (B). Der in
der Mitteilung angekündigte Beitritt der EU zur EMRK nehme den
Lissabon-Vertrag vorweg, stellte er fest. Erst dadurch würde die EU
zu einem völkerrechtlichen Subjekt und könne als solches Verträgen
beitreten. Diese Vorgangsweise der Kommission, vor dem irischen
Referendum den Vertrag von Lissabon als gegeben anzusehen, sei
inakzeptabel. Außerdem sei die EMRK schon jetzt anwendbar und
Rechtsstandard der EU. Stadler kritisierte auch scharf die Vorhaben
zur Antidiskriminierung, denn damit drehe man jede Debatte über den
Missbrauch von Asylrecht ab. Auch die Forderung nach finanzieller
Unterstützung von Alternativen zu den Haftanstalten ist Stadler
zufolge nichts als Sozialromantik pur. Stadler warf dem Papier
weiters vor, unter dem Vorwand der Antidiskriminierung die
Meinungsfreiheit zu untergraben und dabei der Kriminalisierung
bestehender Werteordnungen Tür und Tor zu öffnen. So könnten etwa
Geistliche, die sich auf die Lehre der christlichen Kirche berufen,
angeklagt werden, warnte er. Er lehnte auch das angedachte EU-weite
Verfahren zur Sperrung von Bankguthaben ab. Alles in allem trägt die
Mitteilung der Kommission für Stadler die Handschrift der
"libertären" schwedischen Ratspräsidentschaft. Seitens seiner
Fraktion brachte er im Sinne des vorher Gesagten eine
Ausschussfeststellung ein.

Vorbehalte gegen die Pläne der EU, die Migrationspolitik vorwiegend
an sich zu ziehen, kamen von Abgeordneter Marianne Hagenhofer (S).
Diese Fragen sollten ihrer Meinung nach weiter der Entscheidung der
Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben, zumal dies große Auswirkungen
auf die Arbeitsmärkte habe, die derzeit mit schweren Problemen zu
kämpfen haben. Insbesondere müsse das Thema der zirkularen Migration
mit dem Sozialminister diskutiert werden. Ihre Aussagen wurden auch
von Abgeordnetem Stadler unterstützt.

Weitaus positiver wurden die Pläne der EU von den Grünen bewertet.
Abgeordneter Albert Steinhauser (G) befürchtete lediglich eine
Fehlentwicklung im Bereich Datenschutz und Datenaustausch. Für ihn
besteht die Gefahr einer europäischen Überwachungsstruktur, und er
begründete dies mit den Aussagen der Kommission in der Mitteilung,
die Zusammenarbeit mit den USA als Vorbild für die Datenübermittlung
zu nehmen. Skepsis ist laut Steinhauser auch gegenüber einem
europäischen Informationsmodell mit verstärkter Analysekapazität
angebracht. Offensichtlich, vermutete der Grüne Abgeordnete, will man
eine zentrale Plattform zum Datenaustausch schaffen. Die Folge davon
sei, dass das Bedürfnis, noch mehr Daten zu speichern, steige, womit
auch die Missbrauchsgefahr immer größer werde. In diesem Sinne
brachte er einen Antrag auf Stellungnahme ein.

Trotz positivem Zugang kamen auch von Abgeordnetem Alexander Van der
Bellen (G) kritische Bemerkungen. So hielt er vor allem die
Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vor dem
Hintergrund der unterschiedlichen Strafsysteme für naiv, zumal nicht
einmal im Strafrecht einheitliche Grundprinzipien innerhalb der EU-
Mitgliedstaaten herrschen. Er hinterfragte auch den Plan, im
Reiseverkehr Privat- und Geschäftsreisende zu trennen. Für besonders
bedenklich hielt er die Vorstellung, bei Visa-Anträgen die Bewertung
des Risikos vorzunehmen, was seiner Meinung nach einer Umkehr der
Unschuldsvermutung gleich kommt.

In einer kurzen Replik auf die Diskussion stellte Bundesministerin
Claudia Bandion-Ortner fest, dass sich die europäische
Beweisanordnung als schwerfällig erwiesen habe. Der Rahmenbeschluss
über den Schutz personenbezogener Daten sei bis 2011 umzusetzen,
informierte sie, gleichzeitig bekräftigte sie die Notwendigkeit einer
stärkeren Vernetzung bei der Strafverfolgung.

Die Diskussion über das Stockholm-Programm wurde abschließend
einstimmig vertagt. (Schluss EU-Unterausschuss)

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