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"Die Presse" - Leitartikel: Der immer noch hässliche Amerikaner, von Michael Prüller
Ausgabe vom 22.08.09
Wien (OTS) - Obama lernt gerade unsanft, dass sein Sieg vielleicht
den Stil im Weißen Haus, aber nicht Amerika verändert hat.
Europäische Beobachter der US-Politik neigen mitunter dazu, Dinge
genauso simpel zu beurteilen, wie sie das gern den Amerikanern
unterstellen. Bürger, die nicht so denken, wie Europäer das gewöhnt
sind, werden dann sehr schnell zu nützlichen Idioten irgendwelcher
bösen Lobbys erklärt. Zum Beispiel der Widerstand gegen Obamas
Reformpläne des Krankenversicherungssystems: Da werden schon auch die
Lobbyisten der Versicherungsgesellschaften ihren Teil dazu
beigetragen haben - aber die Sache ist um einiges diffiziler und
zeigt auch eines auf: Die Amerikaner sind nur deshalb, weil sie Obama
gewählt haben, um nichts weniger amerikanisch geworden.
Das amerikanische System ist unbestreitbar ein ziemlicher Schmarrn.
Ein Mischmasch verschiedenster Versicherungswege - Arbeitgeber,
Privatverträge, staatliche Sozialprogramme - wird durch einen Wust an
Regulatorien nicht besser, sondern vollends intransparent und damit
als Markt ineffizient und lässt außerdem Millionen Menschen durch die
Maschen des Netzes fallen. Eine Reform muss sein. Dennoch: Es
funktioniert für viele nicht so schlecht, dass jede Reform besser
erscheint als gar keine. Obamas Pläne, die er in einer über
tausendseitigen Zusammenstellung dem Kongress zur Eilumsetzung
übergeben hat, ohne vorher die Menschen über die Details aufzuklären,
hätten also jedenfalls Gegenwind gehabt.
Da ist zuerst einmal das Kostenargument: Studien aus den Jahren 2003
und 2004 nennen Zahlen von 35 bis 70 Milliarden Dollar jährlich als
zusätzliche Kosten der Allgemeinheit, wenn die Unversicherten
mitversichert würden. Obamas Plan kostet aber, nach einer Schätzung
des Budgetbüros des Kongresses, im Vollausbau knapp 200 Milliarden
Dollar im Jahr.
Dazu kommt, dass das Gesundheitssystem schon beim jetzigen
Kostenwachstum auf einen Kollaps zusteuert. Die Finanzierung wird
ohne Rationierungen auf die Dauer nicht auskommen. Obama und seine
Leute konnten da die Befürchtung nicht ausräumen, dass in Zukunft
anonyme Gremien in Washington entscheiden werden, was den Leuten noch
an Behandlungen gezahlt wird. Überhaupt ist die Übernahme von
weiteren Kompetenzen durch Washington einer der umstrittensten
Punkte. Das sollten Europäer eigentlich verstehen, denn was
hierzulande passieren würde, sollte die EU ein von Brüssel aus
gesteuertes paneuropäisches Krankenversicherungsnetz installieren
wollen, kann man sich vorstellen. Letztlich wurzelt die wachsende
Abneigung gegen den Obama-Plan in der typisch amerikanischen Angst,
dass eine Versicherungspflicht mit obrigkeitlich festgelegtem Rahmen
und einer staatlichen Normversicherung die individuelle
Entscheidungsfreiheit des Einzelnen untergraben wird. Das tut sie
natürlich wirklich, nur haben wir Europäer uns halt schon daran
gewöhnt und verstehen daher die Amerikaner nicht.
Obamas Team hat seinen halb garen Plan den Leuten nicht verkauft,
sondern aufs Aug drücken wollen. Einer Reform stand schon bisher die
Hälfte der Bevölkerung misstrauisch gegenüber. Jetzt sind es noch
mehr, und beileibe nicht nur Republikaner. Adenauer hat einmal einem
seiner Staatssekretäre gesagt: "Sie müssen die Menschen nehmen, wie
sie sind, andere gibt's nicht." Und in Amerika sind die Menschen
überwiegend immer noch Individualisten, die den starken Staat
misstrauisch beäugen. Gallup-Umfragen Anfang August zeigen das
deutlich: Mehr Menschen als im Jahr 2004 sehen die
Gesundheitsversorgung nicht als Aufgabe der Zentralregierung. 52
Prozent (2004: 42 Prozent) sagen, die Regierung hat zu viel Macht.
Und 39 Prozent der Befragten meinen, ihre Ansichten seien in den
letzten Jahren konservativer geworden (18 Prozent sind "liberaler",
42 "unverändert").
Das sieht nicht nach einem Linksruck oder einer Transformation der
amerikanischen Gesellschaft aus. Die Umfragedaten für Obama zeigen
vielmehr, dass er außerhalb seiner ureigenen Klientel, der liberalen
Demokraten, an Popularität stark verliert. Zu Amtsantritt fanden noch
41 Prozent der republikanischen Wähler, dass er einen guten Job
mache. Jetzt sind es nur noch 20 Prozent. Aber auch bei den
Parteilosen hat er keine Mehrheit mehr.
Obamas großes Vorhaben einer Zusammenführung der in Lager
auseinanderdriftenden amerikanischen Nation ist also zunächst einmal
gescheitert. Dem Image hierzulande muss das nicht schaden: Selbst
wenn Obama auch in seinen großen Sachvorhaben - Gesundheit, Bildung,
Umweltschutz, Deeskalation im Mittleren Osten - scheitern sollte,
wird er doch in Europa als großer Präsident in Erinnerung bleiben.
Der nur an der Dummheit seiner von Lobbys geschmierten Landsleute
gescheitert ist.
Rückfragehinweis:
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