DER STANDARD-KOMMENTAR "Wer Politiker überwachen darf" von Conrad Seidl
Demokratisch gewählte Abgeordnete brauchen gewisse Privilegien - Ausgabe vom 11./12.7.2009
Wien (OTS) - Politiker gehören behandelt wie alle anderen
Menschen. Diese Forderung ist populär. Und sie ist falsch. Wie falsch, das zeigt sich in der Diskussion über die Rufnummernrückverfolgung bei Peter Westenthaler, die staatsanwaltschaftlichen Beschlagnahmungspläne für den Computer von Peter Pilz und die eigenartige "Datenforensik" eines Verfassungsschutzbeamten, der freiheitliche Politiker ins Visier genommen hat.
All diesen Fällen ist nicht nur gemeinsam, dass sie Oppositionspolitiker betreffen. Wenn man den Erklärungsversuchen zu diesen Vorgängen folgt, dann könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, dass hier gar nichts Rechtswidriges passiert ist. Behördenvertreter haben versucht, sich Wissen über das Umfeld von Abgeordneten anzueignen - und zwar ganz so, wie man das bei normalen Bürgern auch tun würde: Wird jemand außerhalb der Politik als Zeuge in einem Strafverfahren geführt, dann muss er sich gefallen lassen, dass sich die Ermittler an ihn halten, um einem möglichen Täter auf die Spur zu kommen.
Es gehört zu den Besonderheiten des politischen (wie auch des journalistischen) Geschäftes, dass man Informationen sammelt, deren Quelle besonders schutzwürdig ist: Viele Skandale sind ja erst dadurch aufgebrochen, dass jemand seinem Gewissen mehr als den Vorschriften gefolgt ist und eine vertrauliche interne Information an einen Politiker oder einen Journalisten weitergegeben hat. Solcher Geheimnisverrat ist meist strafbar - Aufdecker riskieren Sanktionen von der Entlassung bis zur Haftstrafe, die Verletzung des Amtsgeheimnisses kann einen bis zu drei Jahre hinter Gitter bringen. Es ist verständlich, dass die Behörden gehalten sind, den Verräter aufzuspüren. Wenn sie sich dabei aber an einen Zeugen halten dürfen, der die vertrauliche Information für seine politische Arbeit nutzt, machen sie die politische Arbeit an sich unmöglich. In der Praxis würde das nämlich bedeuten, dass die letztlich der Regierungsverantwortung unterstehende Behörde die Kontrolltätigkeit der Opposition unterdrückt.
Das sind die Methoden autoritärer oder diktatorischer Systeme. In einer Demokratie darf es keinen Platz dafür geben, dass die Regierung gegen die demokratisch legitimierte Opposition ermitteln lässt.
Da spielt es keine Rolle, ob der betreffende Politiker selbst von zweifelhaftem Ruf ist. Es spielt auch keine Rolle, welcher politischen Richtung er angehört. Es zählt einzig und allein, dass er kraft seines Mandats eine für seine Wähler vertrauenswürdige Person darstellt. Und an eine solche müssen sich die Bürger wenden können -und darauf vertrauen können, dass sie dabei den Behörden gegenüber anonym bleiben können.
Das hat bisher auch ganz gut geklappt. Der Briefkasten von Peter Pilz ist zu einer der wichtigsten Adressen für "Whistle-Blower" geworden -ob Pilz sein jeweiliges Wissen aus offenen Quellen, aus Amtsstuben oder gar von Geheimdiensten hat, hat die Behörden nichts anzugehen. Und es hat sie auch nichts anzugehen, wenn Abgeordnete der demokratisch gewählten FPÖ möglicherweise Verbindungen zu weiter rechts stehenden Personen haben: Solche Verbindungen mögen politisch noch so verabscheuungswürdig sein - wenn Abgeordnete aber deswegen zum Gegenstand behördlicher Beobachtung werden, ist der Missbrauch der so gewonnenen Erkenntnisse vorgezeichnet.
Es mag für die Behörden mühsam und im Einzelfall vielleicht sogar unmöglich sein, ohne die Erhebungen, die jetzt in die Schlagzeilen gekommen sind, ihren Auftrag zu erfüllen. Aber das Politikerprivileg, nicht behördlich überwacht zu werden, ist wichtiger. Denn den Politiker überwachen in der Demokratie nur die Wähler.
Rückfragen & Kontakt:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70/445