"KURIER"-Kommentar von Christoph Kotanko: "Zu klein, um große Aufgaben zu erfüllen"
Die Koalition braucht Verbündete für Fortschritte bei den Hauptfragen.
Wien (OTS) - Viel Routinearbeit, da und dort eine kleine Erregung sowie eine Neuerung (Gebärdensprache): Nach drei langen Sitzungstagen gingen die Nationalratsabgeordneten in die Sommerpause. Am 2. September sieht man sich wieder im Hohen Haus.
Dass die Herausforderungen größer werden, ist allen bewusst. Das durch die Krise stark steigende Budgetdefizit und die wachsenden Staatsschulden müssen in absehbarer Zeit gesenkt werden. Wie Wanderprediger mahnen die Wirtschaftsforscher, es müsse spürbare Reformen in der Verwaltung, bei Bund, Ländern, Gemeinden, bei Pensionen, Bildung und Gesundheit geben.
Problematisch sind nicht nur die Zahlen. Bedenklich ist der geringe Ertrag, den das Steuergeld bringt.
"Beim Mitteleinsatz liegt das Land praktisch überall über dem Schnitt von OECD oder EU, das Ergebnis ist in der Regel unterdurchschnittlich", befand die Neue Zürcher Zeitung vergangene Woche: "Was der nun weitgehend privaten Industrie eindrucksvoll gelungen ist, nämlich Produktivität und Effizienz deutlich zu steigern, schafft der staatsnahe Bereich nicht."
Zäh verteidigte Einzelinteressen und zersplitterte Zuständigkeiten sind die Ursachen für den Missstand.
Fortschritte sind nur durch mehr Gemeinsamkeit zu erzielen. Die Bundesregierung braucht Verbündete, sonst kommt sie bei den Hauptfragen nicht weiter.
Bermudadreieck Ein Lehrbeispiel: Für die Schulen werden heuer die Budgetmittel um 379 Millionen Euro aufgestockt, 2010 wird es eine weitere Erhöhung geben. Doch die großen Übel des Schulwesens sind mit mehr Steuergeld allein nicht zu kurieren.
Die Leistungen der Schüler sind im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich. Diese Schwäche wäre, unter anderem, durch bessere Lehrer zu beheben.
Für die Anstellung der meisten Lehrkräfte sind die Bundesländer zuständig, bezahlen muss sie der Bund, ein zusätzlicher Machtfaktor ist die Lehrergewerkschaft. In diesem bildungspolitischen Bermudadreieck verschwindet jeder Reformansatz.
Ähnlich verfahren ist der Karren in der Gesundheitspolitik. Bund, Länder, Gemeinden und die Krankenkassen (in "Selbstverwaltung" der Sozialpartner) ziehen in verschiedene Richtungen. Nirgendwo sonst ist die Kirchturmpolitik so ausgeprägt. In der Steiermark ist soeben ein Reformkonzept, das die Konzentration der Kräfte in den Spitälern bezweckte, grandios gescheitert.
Qualität? Effizienz? Produktivität? Alles Fremdworte.
Man darf die Hoffnung auf eine Achse der Guten nicht aufgeben, doch derzeit sieht es nicht danach aus.
Zu hoffen ist auf die Kraft des Faktischen. Die wirre Mischung von Verantwortlichkeiten wird zu teuer. Der Kostendruck wird die klare Aufgabenzuordnung mit eindeutiger Finanzverantwortung erzwingen.
Die Große Koalition ist aber zu klein für eine Gesamtlösung; sie braucht Alliierte auf allen Ebenen. Gelingt es ihr, dieses Bewusstsein zu schaffen, so hat sie mehr erreicht als viele Regierungen vor ihr.
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