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DER STANDARD-Kommentar "Wenn Medien Monster machen" von Petra Stuiber

"Im Prozess gegen Josef F. geht es um Quote - publizistische Schamgrenzen verschwimmen" - Ausgabe 13./14.3.2009

Wien (OTS) - Es war fürwahr eine eindrucksvolle TV-Szene in Schwarz-Weiß: Ein Mädchen im weißen Hemdchen sitzt ausgestreckt auf einem Bett, ihre Hände sind mit schweren Ketten an die Eisenverstrebungen gebunden. Um sie herum herrscht Dunkelheit, aus der von Zeit zu Zeit ein riesenhafter Schatten auftaucht, der die Szenerie verdunkelt. Kein Zweifel, wer hier Opfer, wer Täter ist -und jede Menge Zweifel, ob und wie der ORF noch seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag versteht.
Denn die beschriebene Szene zum "Fall F.2 wurde nicht etwa in einer trashigen britischen Privat-TV-Sendung nachgestellt - sondern in einer Sondersendung des Magazins "Thema", moderiert von Christoph Feurstein, der für sein so einfühlsam geführtes Interview mit Natascha Kampusch ausgezeichnet worden ist. Das aktuelle "Thema" hat vieles hinterlassen - nur nicht den Eindruck von Einfühlsamkeit. ATV konnte die Vorlage des Öffentlich-Rechtlichen in seiner Eigenbau-Doku "Josef F. - Monster Mensch" da nur noch verwandeln: Ein Interview mit einem weiteren Opfer, ein weiteres mit jenem Mann, der mit dem Angeklagten fröhliche Urlaubstage in Thailand verbrachte; "erschütternde Amateur-Videos der Mieter zeigen das unbeschwerte Leben in dem scheinbar unscheinbaren Haus", hieß es in einer Presseankündigung des Senders.
Die Eigenwerbung wird sich auszahlen, zweifellos wird die Doku ein Quotenhit. Aus diesem Grunde überboten sich in den vergangenen Tagen nicht nur österreichische Zeitungen mit Vorausberichten über den am Montag beginnenden "Jahrhundertprozess" gegen Josef F. und das "Jahrhundertverbrechen", dessen er beschuldigt wird. Nicht wenige insinuierten, es sei nicht weise, dass F.s Tochter und ihre Kinder nicht vor Gericht erscheinen werden und dass sie auf ihrer - nur mühsam bewahrten - Anonymität beharren.
Manche verstiegen sich sogar zu der (expertengestützten) Diagnose, dass es den Opfern "guttun" könnte, wenn sie sich ihrem Peiniger von Angesicht zu Angesicht stellen würden. Ganz zu schweigen vom Pingpong-Spiel britischer mit heimischen Boulevard-Medien, in denen "aktuelle" Fotos der Tochter gezeigt wurden - mit der Beteuerung, man habe sogar ihre Kleidung verfremdet. Scheinheiliger geht’s kaum. Der "Fall Amstetten" ließ schon bei seiner Aufdeckung vor einem Jahr Medien im In- und Ausland ausflippen. Alle beschäftigt die Frage, wo die Grenze ist zwischen legitimem öffentlichem Interesse an einem außergewöhnlichen Kriminalfall und dem Schutz der Privatsphäre der Opfer.
Das Medienrecht gibt zwar einen klaren Rahmen - sieht aber keine schmerzhaften Konsequenzen bei Verstößen vor. Was passiert schon groß, wenn man das "Horrorhaus" in Amstetten zeigt? Den vollen Namen des Täters - und damit auch der Opfer - nennt? Sich an der Jagd nach dem ersten Foto, dem "Exklusivgeständnis", dem ersten Interview beteiligt? Ein paar tausend Euro Bußgeld, was ist das schon gegen die Quote/Auflage, die man im Gegenzug macht. Die Verführung ist groß, unter diesen Umständen auf jegliche Selbstkontrolle zu verzichten. Jedes Medium legt seine eigene Messlatte an. Der Maßstab des Standard, der jedem Bericht zugrunde liegt, ist die Frage: Wie würden Leser reagieren, wenn es sich hierbei um die Beschreibung ihres Privatlebens handeln würde?
Und, so unsympathisch das scheinen mag, es geht nicht nur um F.s Tochter und ihre Kinder. Für den Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung, solange er nicht rechtskräftig verurteilt ist. Wenn Medien den Rechtsstaat ernst nehmen, sollten sie selbst den Anschein medialer Vorverurteilung vermeiden. Sonst riskieren sie ihren eigenen Anspruch als Kontrollinstanz und "vierte Säule" der Demokratie.

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