• 05.02.2009, 08:44:58
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WirtschaftsBlatt-Leitartikel: Wunderland ist abgebrannt - von Michael Laczynski

Heilsame Erfahrung: Banker erleben den Kontrollverlust

Wien (OTS) - So weit ist es schon gekommen: In ihrer gestrigen
Ausgabe berichtet die "Herald Tribune" darüber, dass bei JP Morgan
die (noch nicht gefeuerten) Mitarbeiter ihre Schreibutensilien
neuerdings bei der Sekretärin abholen müssen, denn das Depot für
Büromaterial wurde im Zuge der Finanzkrise verriegelt. Mit der
restriktiven Maßnahme will die Chefetage der wütenden Öffentlichkeit
ihren eisernen Sparwillen demonstrieren und sich auf diese Art und
Weise aus der Schusslinie nehmen - wenn der geschasste Merrill
Lynch-Chef John Thain wegen der Bestellung einer Kommode fürs Klo um
läppische 35.000 Dollar regelrecht gekreuzigt wird, dann weiß jeder
halbwegs vernünftig denkende Banker, dass das Eis, auf dem sich die
Branche derzeit bewegt, sehr dünn ist.

Ja, die Zeiten sind hart geworden. Immer öfter liest man dieser Tage
von Bankmitarbeitern, die mit der Produktion toxischer Wertpapiere
nichts zu tun hatten und trotzdem auf ihre Prämien verzichten müssen.
"Da kann ich ja gleich zu einem Non-Profit-Verein gehen", entrüstet
sich eine Dame vom Fach in dem eingangs erwähnten Artikel, "denn dort
gibt es wenigstens geregelte Arbeitszeiten."

In Anbetracht dieser Aussage ist es höchst an der Zeit, einen
wichtigen Sachverhalt ins rechte Licht zu rücken. Meine lieben
Banker: Auch die Fabriksarbeiter, die rund um den Globus zu
zigtausenden gefeuert werden, hatten nichts mit Collaterized Debt
Obligations, Mortgage-Backed Securities und ähnlichem Dreck zu tun.
Sie haben ihre Arbeit gut gemacht und wurden trotzdem Opfer der
Umstände. Shit happens, wie der Amerikaner zu sagen pflegt.

Das eigentliche Problem liegt woanders: Die ehemaligen Überflieger
erleben zum ersten Mal, dass sich die Welt nicht nach ihren
Vorstellungen dreht. Eine in jeder Hinsicht heilsame Erfahrung. Vor
diesem Hintergrund ist die Tatsache, dass die neue US-Regierung im
Wunderland der Finanzinstitutionen aufräumen will, beileibe kein
Drama. Was ist eigentlich so schlimm an dem Vorschlag, die Prämien so
lange einzufrieren, so lange die Bank am öffentlichen Tropf hängt?
Und mit einem limitierten Gehalt von 500.000 Dollar verdient ein
Bankdirektor immer noch rund 100.000 Dollar mehr als Präsident Barack
Obama - und der muss ja bekanntlich für sein privates Essen im Weißen
Haus selbst aufkommen.

Und was die Sache mit dem Büromaterial anbelangt: In der Redaktion,
in der ich arbeite, ist der verantwortungsvolle Umgang mit
Schreibutensilien seit Jahren gang und gäbe. Und das ist gut so.

Rückfragehinweis:
WirtschaftsBlatt
Redaktionstel.: (01) 60 117/300
http://www.wirtschaftsblatt.at

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