- 15.01.2009, 18:14:35
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"Die Presse"-Leitartikel: Die komplizierte Welt der Grünen, von Oliver Pink
Ausgabe vom 16. Jänner 2009
Wien (OTS) - Früher gab es Fundis und Realos. Doch so einfach ist
das nicht mehr. Wie der Fall Johannes Voggenhuber beweist.
Früher war die Welt einfach und übersichtlich: Es gab Ost und West,
es gab entweder FS1 oder FS2, und bei den Grünen gab es Fundis und
Realos. Heute ist die Welt komplexer: Johannes Voggenhuber etwa, der
grüne EU-Abgeordnete, der bisher keine Gelegenheit ausgelassen hat,
sich an der Realo-Führung in Wien abzuarbeiten, muss heute selbst zum
Realo-Flügel gezählt werden. Unterstützung für seine Wiederkandidatur
als EU-Spitzenkandidat erhält er ausgerechnet von "Bürgerschreck"
Peter Pilz. Oberrealo Alexander Van der Bellen, der Altparteichef,
wiederum unterstützt die dezidiert linke Ulrike Lunacek. Und die neue
Parteichefin Eva Glawischnig, ebenfalls vom Realo-Flügel kommend, hat
ihre Partei insgesamt auf einen linkeren Kurs eingeschworen.
Feminismus- und Sozialthemen haben nun einen höheren Stellenwert, zur
EU gehen die Glawischnig-Grünen dezent auf Distanz, jene zu den
Antiglobalisierungsbewegungen schwindet.
Am kommenden Wochenende wird erstmals über den neuen Kurs abgestimmt.
Auf dem 30. Bundeskongress der Grünen in Klagenfurt wird Eva
Glawischnig offiziell zur neuen Bundessprecherin gewählt und der
Spitzenkandidat für die EU-Wahl am 7. Juni gekürt. Ersteres dürfte
relativ harmonisch über die Bühne gehen, da Glawischnig die einzige
Kandidatin ist. Für den ersten Platz auf der EU-Liste hingegen
bewerben sich gleich drei Kandidaten: Johannes Voggenhuber, Ulrike
Lunacek und Eva Lichtenberger. Auch um den ebenfalls noch lukrativen
zweiten Platz - derzeit verfügen die Grünen über zwei Mandate im
EU-Parlament - wird es eine Kampfabstimmung geben: Die Wiener
Stadträtin Monika Vana, einst als Frontfrau der "Fundis" zu
überregionaler Bekanntheit gelangt, wird sich mit den VerliererInnen
aus Durchgang eins matchen. Wobei Johannes Voggenhuber bereits
angedroht hat: Fällt er als Spitzenkandidat durch, zieht er sich ganz
aus der Politik zurück.
Möglicherweise ein Motiv für viele Delegierte, vor allem jene aus dem
Partei-Establishment, mit ihrer Stimme für Lunacek oder Lichtenberger
genau dafür zu sorgen. Denn Voggenhuber war bisher nicht nur einfach
unbequem, er war schlicht ein Querulant, der stets alles besser
wusste. Erst nach der Nationalratswahl im Herbst ging er einmal mehr
mit der damaligen Parteiführung hart ins Gericht: Diese hätte eine
"große Chance vertan" und die Wähler, vor allem die jungen und
urbanen, der Rechten des Heinz-Christian Strache überlassen. Von
außen kritisiert es sich freilich leicht. Ein Johannes Voggenhuber
hätte höchstwahrscheinlich größere Schwierigkeiten, vor einer der
schickeren Innenstadtdiscos, in der sich die Jungen und Urbanen
tummeln, überhaupt den Türsteher zu überwinden.
Doch Voggenhuber hat auch eine andere Seite: Er hat sich in Brüssel
und Straßburg als Grundrechts- und Verfassungsfachmann einen Namen
gemacht, dessen Expertise auch in den anderen Fraktionen geschätzt
wird. Der EU-Skeptiker von einst ist seit Jahren tadellos
europafreundlich gesinnt und dem auch in seiner eigenen Partei
grassierenden Anti-EU-Populismus unzweifelhaft abhold.
Die grünen Delegierten werden sich also entscheiden müssen, ob ihnen
ein ausgewiesener Pro-EU-Europäer mit schwierigem Charakter
nähersteht oder eine unkomplizierte Außenpolitik-Expertin mit etwas
undurchsichtigem Naheverhältnis zu diversen Antiglobalisierungs-NGO.
Oder sie entscheiden sich überraschend für den Mittelweg und wählen
die eher farblose Eva Lichtenberger, die neben Voggenhuber schon
bisher im EU-Parlament gesessen ist. Wovon derzeit aber eher nicht
auszugehen ist.
Die politische Lage für die Grünen zu Beginn der Ära Glawischnig
stellt sich insgesamt zwiespältig dar. Die Gaskrise gibt ihnen
argumentativ Rückenwind. Schließlich haben sie es ja schon immer
gewusst, dass eine "Energiewende", weg von den fossilen hin zu den
erneuerbaren Formen, dringend notwendig ist. Nur hat - so sehen es
die Grünen und haben damit nicht unrecht - aufseiten der Bürger
bisher die nötige Betroffenheit und Sensibilität dafür gefehlt. Die
ist dank Wladimir Putin nun gegeben.
In der noch drängenderen Frage der globalen Wirtschaftskrise
allerdings stehen die Grünen ziemlich unbeteiligt in der Landschaft.
Unter dem Wirtschaftsprofessor Alexander Van der Bellen wurde ihnen
da noch eine gewisse Kompetenz zugebilligt. Von Eva Glawischnig
hingegen ist hier wenig Substanzielles überliefert. Aber das kann am
Parteitag ja noch werden.
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