• 27.09.2008, 19:08:49
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"Kleine Zeitung" Kommentar: "Das Ende der Großparteien" (von Hubert Patterer)

Ausgabe vom 28.09.2008

Graz (OTS) - Wahlen sind Feiertage der Demokratie. Bei allem
Verdruss über das Dargebotene lohnt es sich, daran zu erinnern.
Freilich hätten sich die Bürger eine Erschwerniszulage verdient.
Keiner der Kandidaten vermochte zu überzeugen oder gar mitzureißen
mit mutigen Entwürfen oder neuen Markierungen, die dem Land die
Richtung weisen.

Die Baustellen, die die Regierung unsaniert zurück ließ - von der
Staats- über die Gesundheits- bis zur Bildungsreform - blieben
verplankt. Zu den drückenden Gegenwartsthemen wie der Überalterung
oder der drohenden ökologischen Katastrophe kam nichts, was Nährwert
hatte. Betreten der Baustellen und der Zukunft verboten, könnte man
das Motto dieses Wahlkampfes nennen.

Stattdessen lud man zu einem Rodeo durchsichtiger Wohltätigkeit.
Mitunter gewann man den Eindruck, als stünde das viert reichste Land
Europas mit einem der höchsten Sozialbudgets vor dem Ausbruch von Not
und Massenelend.

Aber selbst hier vermied man Grundsätzliches. Die Frage, was "sozial"
heute heißen kann, was für den Staat, was für den Einzelnen, blieb
ausgespart. Man hätte im Buch "Warum Österreich so ist, wie es ist"
des Sozialdemokraten Hannes Androsch nachblättern können. Der
Industrielle führt darin aus, warum der Rückgriff auf die
Wohlfahrts-Formeln der Siebziger obsolet ist, warum man Fragen von
morgen nicht mit Antworten von gestern beantworten kann.

Die ursprünglich an den Sozialstaat gestellten Ansprüche, so der
Autor, seien alle übertroffen worden. In den westlichen
Industrieländern lebe heute ein Durchschnittsbürger besser als vor
200 Jahren ein Monarch. Vor den fünf Riesen, wie sie der englische
Sozialpolitiker Lord Beveridge genannt hat - Not, Krankheit, Elend,
Arbeitslosigkeit und Unwissenheit - müsse der Staat die Menschen
weiterhin schützen. Der Versorgungsstaat alter Prägung aber habe
ausgedient. Vollkasko sei unfinanzierbar und mit den Erfordernissen
der Wissensgesellschaft, die auf Individualität und Mobilität setze,
unvereinbar. Schade, dass Androsch das nur geschrieben und nicht auch
im Wahlkampf ausgesprochen hat. Es wäre zwar unpopulär, aber eine
Wohltat gewesen.

Die anderen Wohltaten werden die beiden Großparteien nicht vor
historischer Unbill bewahren. Sie werden nach dem Feiertag nicht mehr
groß sein. Das Prädikat staatstragend haben sie verwirkt. Das
nationale Lager wird zu ihnen aufschließen. Wir werden das Jahr 1999
schreiben, mit ähnlich düsterer Perspektive: Gelöbnis- und Tabubruch
oder Notgemeinschaft der Verlierer. Einmal noch, dann geht sich das
nächste Mal nicht einmal die mehr aus. ****

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