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Wiener Zeitung: Unterbergers Tagebuch: "Freie Bahn den Plünderern"
Ausgabe vom 20. September 2008
Wien (OTS) - Alles ist wieder gut. Auf der Hochschaubahn der
Börsen ist es in den letzten Stunden in eine sensationell steile
Aufwärtskurve gegangen. Allerorten erleichtertes Aufatmen.
In Wahrheit freilich ist gar nichts wieder gut. Die wie ein
Heroinsüchtiger auf billiges Geld versessene Welt ist lediglich
deshalb von der Depression in einen Euphorieschub geraten, weil
Amerikas Regierung eine neue Großlieferung versprochen hat. Niemand
denkt an eine Entziehungskur. Wichtig ist nur: Her mit dem nächsten
(Zu-)Schuss.
*
In Österreich ist scheinbar nicht viel passiert. Bei uns sind die
Banken eher vorsichtig. Dafür ist die Politik umso unbeherrschter.
Hier passiert das, was sonst nur bei Kriegen und Katastrophen
geschieht: Wenn Law and Order, wenn die staatliche Autorität
schwindet, hat der Mob plötzlich freie Bahn und beginnt massenweise
zu plündern.
In Österreich gibt es - im Unterschied zu früheren Wahlkämpfen -
keine aktionsfähige Regierung mehr. Eine Regierung ist ja nur dann
als solche ernst- und wahrzunehmen, wenn sie von einer
Parlamentsmehrheit gegen Zufallsvoten geschützt wird. Das aber wird
sie nicht mehr, seit Werner Faymann den von ihm früher noch aus
Gründen des "Anstands" versprochenen Burgfrieden aufgekündigt hat.
Der zweite Grund, warum Österreich derzeit gefährlich führungslos
dahintreibt, ist die Totalabsenz eines Regierungschefs, der
eigentlich an oberster Stelle den Laden zusammenhalten sollte.
In solchen Stunden der Anomie, des Zusammenbruchs der Ordnung,
wird hemmungslos in die Kasse gegriffen, richtet Vandalismus schwere
Schäden an. Etwa wenn FPÖ, BZÖ und vermutlich auch die SPÖ ein
hirnrissiges EU-Gesetz beschließen sollten, das Österreich zum
größten Hemmschuh für eine positive Weiterentwicklung der (ohnedies
schwächelnden) EU machen würde. Oder wenn alle Parteien (auch die
ansonsten relativ verantwortungsbewusste ÖVP) die Frühpension de
facto wieder einführen wollen. Wenn Rot und Blau den Handelskonzernen
eine Dreiviertel Milliarde (alljährlich!) zuschieben wollen. Wenn
Rot, Blau und Grün die Universitäten ruinieren, nur um ein paar
Studentenstimmen zu ergattern.
Wo sind die Zeiten, da Konsuln noch darauf geachtet haben, dass
die Republik nicht Schaden nimmt?
http://www.wienerzeitung.at/tagebuch
Rückfragehinweis:
Wiener Zeitung
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Tel.: 01/206 99-478
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