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"Politik steht sozialen Problemen nicht machtlos gegenüber"

Caritas-Präsident Küberl und Sozialminister Buchinger diskutierten über "soziale Handschrift" in der Politik - Strukturelle Solidarität gerät in Gefahr, wenn Leute persönliche Solidarität nicht mehr leben

Wien, 16.9.08 (KAP) Die Politik steht sozialen Problemen nicht machtlos gegenüber, obwohl viele Ursachen für soziale Schieflagen außerhalb der Grenzen Österreich entstehen. Das betonten Caritas-Präsident Franz Küberl und Sozialminister Erwin Buchinger am Montagabend im "Bruno Kreisky Forum" bei einer Diskussion unter dem Titel "Politik mit sozialer Handschrift". "Selbstverständlich haben die nationalen Staaten die Möglichkeit, ihren Bürgern ein Grundmaß an sozialer Sicherheit zu gewährleisten, damit überhaupt Freiheit und Verantwortung wahrgenommen werden können", unterstrich Caritas-Präsident Küberl. Buchinger verwies darauf, dass jene politischen Regulierungsmöglichkeiten, die regional und national verloren gegangen seien, auf internationaler Ebene zurück gewonnen werden müssten.

Österreich sei ein Beispiel dafür, dass soziale Absicherung der Lebensrisiken prinzipiell möglich ist, meinte Caritas-Präsident Küberl. "Ein Zentralproblem der Sozialpolitik ist, dass sich bei weitem nicht alle Menschen der Notwendigkeit dieser Absicherung bewusst sind", präzisierte der Caritas-Präsident.

Küberl betonte, dass Solidarität in der Gesellschaft zwei Dimensionen habe, die einander bedingen: eine personelle und eine strukturelle. "Die strukturelle Solidarität gerät dort in Gefahr, wo Leute die persönliche Solidarität nicht mehr leben", warnte der Caritas-Präsident und appellierte an die Zivilcourage und das Wahrnehmen der Mitverantwortung für andere. Die Republik könne nicht überall Sozialarbeiter einsetzen, so Küberl, es brauche auch das persönliche Engagement der Bürger.

Sozialminister Buchinger betonte den gemeinschaftlichen Aspekt von Solidarität in der Gesellschaft. Er vertraue auf ein Solidaritäts-Konzept auf Basis des Prinzips, dass jeder Mensch einmal schwach werden könne. Dieses Konzept verbinde Nächstenliebe mit Selbstliebe. "Nicht der Starke hilft dem Schwachen, sondern es ist eine wechselseitige Hilfe je nach Lebensumständen. Ich helfe jetzt jemanden, weil ich darauf vertraue, dass man mir hilft, wenn ich einmal in diese Situation komme", sagte Buchinger.

Chancengerechtigkeit für alle

Unterschiedliche Auffassungen vertraten Küberl und Buchinger bei der Frage, woran "Politik mit sozialer Handschrift" erkennbar sei. Küberl - er beschrieb am Beginn der Diskussion das Arbeitsfeld der Caritas als jenen Bereich, wo sich Menschen nicht mehr selbst helfen können, sondern anderer bedürfen, um wieder flott zu werden" - kritisierte, dass das soziale Netz Österreichs in der Mitte zwar stark sei, an den Rändern aber ausfranse. "Arbeitslose, Zuwanderer, Obdachlose - das sind die Schichten, denen man nicht immer zugesteht, dass sie auch Chancengerechtigkeit brauchen", sagte Küberl.

Buchinger meinte hingegen, dass die soziale Sicherheit auch in der Mitte der Gesellschaft gefährdet sei, wenn es etwa um die Aufrechterhaltung der Krankenversicherung oder die zukünftige Tragfähigkeit des Pensionssystems für heute junge Menschen gehe.

Sozialstaat braucht auch "Starke"

Der Caritas-Präsident bekannte sich dazu, dass eine Politik mit sozialer Handschrift darauf baue, "dass es in einem Land auch wirtschaftlich Starke gibt - nur Schwache, das reicht nicht aus". Entscheidend sei daher, ob und wie man den Wirtschaftsstandort Österreich mit dem Sozialstandort Österreich verbinden könne. Soziale Politik sei eine Querschnittmaterie, die "soziale Handschrift im Politischen" zeige sich in vielen Politikfeldern.

Konkret äußerte Küberl seine Enttäuschung über das Scheitern der Bund-Länder-Vereinbarung zur Umsetzung einer österreichweiten bedarfsorientierten Mindestsicherung. Er hoffe, dass es nach den Wahlen möglich sein werde, bei diesem Thema wieder anzusetzen. Der Sozialminister kündigte an, nach der Wahl noch einen Anlauf zum Beschluss der Mindestsicherung versuchen zu wollen. Die angestrebte "15a-Vereinbarung" könnte auch nur mit jenen acht Bundesländern beschlossen werden, die bisher schon zugestimmt haben.

Gefahr der Vererbung von Armut

Die Bildungspolitik nannte Küberl als eine der Voraussetzungen, damit Sozialpolitik überhaupt greifen kann. In diesem Bereich gebe es in Österreich "erheblichen Nachholbedarf", es bestehe die Gefahr der Vererbung von Armut. "20 bis 25 Prozent der Schüler, die aus armutsgefährdeten Milieus kommen, verlassen die Schule auch armutsgefährdet. Und das, obwohl wir eigentlich der Meinung sind, dass Bildung Armut brechen muss". Es sei ihm egal, so Küberl, mit welchen Modellen dieser Situation entgegen gewirkt werde, aber: "Um die Zukunft eines jeden Kindes muss gekämpft werden".

Mit den Worten "Politik mit sozialer Handschrift darf nicht an den Staatsgrenzen enden", wies der Caritas-Präsident auch auf die soziale Bedeutung entwicklungspolitischer Maßnahmen hin. Es sei "wahnsinnig schwer", mit Regierenden über Fragen der Entwicklungspolitik sinnvoll zu reden. Grund dafür sei vor allem, dass dieses Anliegen in der Bevölkerung nicht verankert ist: "Es ist den meisten Leuten in Österreich wurscht, ob es Entwicklungspolitik gibt oder nicht", analysierte Küberl nüchtern und warnte gleichzeitig vor den Folgen:
"Wenn wir nicht heute die Ärmel aufkrempeln, weiß ich nicht, was uns die Kinder einmal vorwerfen werden, die werden das bezahlen". Man könne sich der Armut in der Welt nicht verschließen. Dass "die Armen wissen, wo die Reichen wohnen", sei eine der entscheidenden Auswirkungen der Globalisierung.

Die Diskussion im "Bruno Kreisky-Forum" zwischen Küberl und Buchinger war schon vor Monaten vereinbart worden. Der Caritas-Präsident wollte seine Zusage wegen der Wichtigkeit des Themas nicht zurückziehen, "auch wenn jetzt Wahlkampf ist".

O-Töne der Diskussion sind in Kürze unter www.katholisch.at/o-toene abrufbar. (ende)
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