Muss Kultur im "Kulturland" betteln gehen?
"Presse"-Leitartikel, vom 18. August 2008, von Wilhelm Sinkovicz
Wien (OTS) - Die Festspiele und der ORF: Kulturelle Röntgenbilder politischer Haltungsschäden in Österreich.
Erste Bilanz der Salzburger Festspiele? Auffallendste Aktion 2008 war vielleicht der laute Jammer über die Auswirkungen des jüngsten Neidparagrafen. Sponsoren machen von ihrem Vorkaufsrecht auf Eintrittskarten nicht mehr Gebrauch, denn Geschäftspartner zur Salzburger Mozart- oder Verdi-Premiere einzuladen, das fällt ab sofort unter die Rubrik "Bestechung".
Die dümmsten Neidargumente gegen die Kulturförderung haben damit ihren legislativen Widerhall gefunden: Die Superreichen, denen die sogenannten Hochkultur ein Anliegen ist, sollen sich den Erhalt derselben gefälligst selber zahlen.
Die Misere begann, als ein Wiener Operndirektor - es war in den Achtzigerjahren - bekannte, er werde ausziehen, um "mit dem Hut in der Hand" Geld für die nächste Premiere zu sammeln. Unterminiert war die bis dahin sakrosankte Vorstellung, dass die Kulturförderung - und zwar vom Multikulti-Projekt in einem Hinterhof in Hernals bis zur Festspielpremiere - zu jenen Dingen gehört, die sich das österreichische Ego nicht aus der Hand nehmen lässt. Die Aufrechterhaltung des kulturellen Selbstwertgefühls war sozusagen das Rückgrat der Politik im "Kulturland".
Mittlerweile scheint das Bewusstsein für kulturelle Spitzenleistungen abhanden gekommen zu sein. Im Festspielhaus, wo für Verdi einst die Crème de la Crème des internationalen Belcanto von Mirella Freni über José Carreas oder Placido Domingo bis Nikolai Ghiaurov antrat, wo selbst Nebenrollen wie die Stimme von Himmel oder der Page Tebaldo im "Don Carlos" mit Namen wie Anna Tomowa-Sintow und Edita Gruberova besetzt waren, singen heute Stimmen auf Stadttheaterniveau - kaum hörbar unter den Attacken der philharmonischen Orchesterangriffe. Die stehen immerhin unter Riccardo Mutis Befehl - heuer. Nächste Jahr zählt auch die Dirigentenriege der Festspiele wieder mehrheitlich zur zweiten Kategorie.
Festspiele? Das waren einmal Veranstaltungen, auf die man im Lande stolz war, weil sie beweisen sollten, was man im allerbesten Fall und unter den allerbesten Voraussetzungen auf jenem Sektor, für den man in aller Welt bestaunt wird, zu leisten imstande ist. Nicht dass eine Ansammlung von Weltstars keine Flops landen könnte. Doch sagt es etwas aus über das Niveau, auf dem man diskutiert, wenn es Giorgio Strehler und Herbert von Karajan sind, die da scheitern. Derzeit schwebt über allem eher das Motto: "Mehr bringen wir mit unserem Budget nicht zusammen".
Doch hat die internationale Reputation Österreichs nach wie vor am allermeisten mit dem Image zu tun, hierzulande werde die Kultur und die Pflege ihres Erbes hochgehalten wie nirgendwo sonst. Noch übertüncht der gute Ruf die kulturpolitische Ignoranz, deren Widerhall man bezeichnender Weise auf dem Küniglberg vernimmt: Zwar überträgt der ORF noch zu allen heiligen Zeiten Opernvorstellungen -jammert aber im gleichen Atemzug über die ach so niedrigen Seherquoten.
Auch hier falsche Gewichtungen, ein irritiertes Selbstbild: In Wahrheit dürfte ein öffentlich rechtlicher Sender überhaupt nicht über Einschaltquoten diskutieren, wo es um Kulturarbeit geht. Ist doch die Einhebung von (notabene geschmalzenen) Pflichtgebühren ausschließlich über die Erfüllung des Kulturauftrags zu legitimieren. Zu diesem zählt die Abbildung des heimischen Kulturlebens, nicht zuletzt, um dessen Spitzenleistungen jedermann zugänglich zu machen. Nebenbei bemerkt gehört auch jene kulturschaffende Komponente dazu, die sich im Erhalt eines hochqualifizierten Rundfunkorchesters spiegelt - dieses nicht zu den "Kernkompetenzen" zu zählen, wie das jüngst geschah, sollte in einem europäischen Land diesseits von Tirana schlechterdings undenkbar sein.
Die Realität ist anders, wie wir wissen. Das hat, wie der Sponsoren-Zirkus mit dem Fehlen jeglicher qualifizierter, dem Ruf des Landes angemessener Kulturpolitik zu tun. Deren Anliegen wäre die Qualitätssicherung in jenem für das internationale Prestige so unschätzbaren Bereich. Unsere Staatslenker erkennen jedoch kulturelle Belange, scheint's, nicht mehr als grundsätzliche Notwendigkeit, sondern bestenfalls als Faktoren bei der Berechnung von Umwegrentabilität. Die ist immens, man weiß es. Sie spielt mehr wieder herein, als der Staat jemals für die Kultur ausgibt. Politik, die solche Zahlenspiele zur Maßeinheit für ihr Kulturverständnis werden lässt, verliert im "Kulturland" ihren natürlichen Halt. Sie wird rückgratlos.
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