• 15.07.2008, 18:28:41
  • /
  • OTS0205 OTW0205

Wiener Zeitung: Unterbergers Tagebuch: "Die Stagflation ist zurück"

Ausgabe vom 16. Juli 2008

Wien (OTS) - Woran merkt man, dass Wahlkampf ist? Ganz einfach:
Wahlkampf ist, wenn die Arbeiterkammer plötzlich durch eine Fülle von
Auftritten vermittelt, wie furchtbar alles ist, und wenn der
Wirtschaftsminister die Jagd auf Preistreiber eröffnet.

Freilich: Derzeit schaut die Lage tatsächlich recht deprimierend
aus. Die jahrelang im globalen Gleichklang boomende Konjunktur
erlahmt überall; fast im Tagesrhythmus teilen Firmen mit, dass sie
Arbeitskräfte abbauen; die AUA mit ihren altersschwachen Maschinen
ist verkaufsreif; und gleichzeitig blüht die tot geglaubte Inflation
wieder auf.

Stagnation und Inflation gleichzeitig: ein seltenes Phänomen. Aber
kein unbekanntes. Denn wir hatten das schon in den 70er Jahren. Auch
damals ging ein Konjunkturzyklus zu Ende, und gleichzeitig wurde das
Öl knapp, was alle Preise in die Höhe jagte. Die Folgen: Der Club of
Rome machte einige falsche Prophezeiungen; Exponenten der 68er
Bewegung lobten die Inflation, weil dadurch primär die Kapitalisten
getroffen würden; Kreisky und Androsch häuften Schulden an, weil sie
so die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen glaubten; und die Gewerkschaft
versuchte, sich via Lohnrunden die (Öl-)Preissteigerungen abgelten zu
lassen. Die Folge war die schwerste Krise der Nachkriegszeit, an
deren Ende es mehr Arbeitslose und Schulden und eine kaputte
Verstaatlichte gab.

Kammern und Parteien machen leider nicht den Eindruck, viel daraus
gelernt zu haben. Man ruft nach billigem Zentralbank-Geld und
versteht nicht, dass die nunmehrige Krise eine Folge der lange zu
freizügigen Geldpolitik der USA ist (die eben deshalb von der
Arbeiterkammer sogar einige Zeit als Vorbild gelobt worden ist -
trotz das bösen George W. Bush); dass man Inflation nicht durch
Verbote, Kontrollen, mehr Lohn oder mehr Staatsausgaben aus der Welt
bekommt, sondern nur durch mehr Wettbewerb (sofern die Gier von
Oligopolisten die Ursache ist), durch Deregulierung (sofern die
Bürokratie überflüssig teuer ist) oder durch ein
Gürtel-enger-Schnallen (sofern globale Knappheiten wie bei Öl oder
Nahrungsmitteln die Ursachen sind).

Viel wirksamer als jene Scheinaktivitäten vor einer Wahl wäre es
daher gewesen, hätten Kammern und Parteien gegen den (Teil-)Verkauf
von Konsum, Meinl und Adeg an Billa gekämpft. Um nur ein Beispiel zu
nennen. Aber Billa ist mächtig (und seine Inserate!).

http://www.wienerzeitung.at/tagebuch

Rückfragehinweis:
Wiener Zeitung
Sekretariat
Tel.: 01/206 99-478
mailto:redaktion@wienerzeitung.at

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PWR

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel