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"KURIER"-Kommentar von Anneliese Rohrer: "Morgenluft, heiße Luft, gar keine Luft"

Sozialpartner weckten Hoffnungen, die sie nicht erfüllen können.

Wien (OTS) - Wie sich die Zeiten ändern! In den Jahren der alten Koalitionen und der Alleinregierungen Bruno Kreiskys legte die Regierung den Sozialpartnern Gesetze vor, auf dass diese sie harmonisierten und so für Verabschiedungen ohne viel Aufhebens im Parlament sorgten. Heute ersucht die Regierung die Sozialpartner, ihr ein Gesetz vorzulegen, weil sie selbst keines zustande bringt - und der Wirbel geht erst recht los.
In diesem Sinn markiert das Gesetz zur Sanierung der Krankenkassen, dessen Begutachtung nun zu Ende ist, wahrlich eine Zeitenwende. Von einer ruhigen Abstimmung im Nationalrat ist die Regierung so weit entfernt wie von guten Umfragen. Die Arbeitnehmer der ÖVP revoltieren; die roten Gewerkschafter proben den Aufstand gegen ihren Präsidenten und ihre SPÖ. Es droht ein außerordentlicher ÖGB-Kongreß und/oder eine Verfassungsklage aus den eigenen Reihen. Beides wäre einmalig in der Zweiten Republik, weil ausgelöst von einem Sozialpartner-Papier und nicht von einem Regierungsvorschlag. Noch nie hat ein Gewerkschafter der ÖGB-Spitze so deutlich vorgeworfen, sich vom Wirtschaftspartner über den Tisch ziehen zu lassen, wie dies Metaller-Sekretär Karl Haas getan hat. Kaum je hat ein Abgeordneter seiner ÖVP-Spitze einen so veritablen Flop vorgehalten, wie dies Gesundheitssprecher Erwin Rasinger tut. Rolle und Funktion der Sozialpartnerschaft als Hüter der Ruhe im Staat werden so ins Gegenteil verkehrt.
Überraschung ist nicht angebracht. Die Dynamik zwischen Regierung und Sozialpartner hat sich seit 2000 so stark geändert wie Wolfgang Schüssel seine Einstellung zu dieser Institution. Aus dem ehemaligen Gralshüter der Sozialpartnerschaft (in seiner Rolle als Adlatus des legendären Rudolf Sallinger) war ein Verdränger dieser Einrichtung geworden. Die Dynamik innerhalb der Sozialpartner hat sich mit der Existenzkrise des ÖGB dann ebenfalls verändert.
Der von Schüssel in die Bedeutungslosigkeit gedrängte Christoph Leitl hatte so lange versucht, mit ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch ein starkes Duo zu bilden, bis ihm dieser im Bawag-Strudel abhanden kam. Dessen Nachfolger Rudolf Hundsdorfer musste sich dann glücklich schätzen, von Leitl umarmt zu werden, auch wenn ihm dabei die Luft ausging. Die beiden wollten zur Achse der Guten gehören und haben -grob geschätzt - in den letzten 16 Monaten zu elf Bereichen Einigung oder Vorschläge präsentiert. Mit Genugtuung sonnten sie sich in der neu gewonnenen Bedeutung. Die Rettungsaktion für die Regierung im Gesundheitsbereich sollte ein vorläufiger Höhepunkt sein. Dafür ernten sie nun den Vorwurf, nur heiße Luft produziert zu haben. Nach den demütigenden Jahren ab 2000 haben die Sozialpartner wieder Morgenluft gewittert. Und sie ist ihnen zu Kopf gestiegen. Das ist fatal. In William Shakespeares "Hamlet" verschwindet der Geist nämlich mit dem Satz "Mich dünkt, ich wittre Morgenluft". Falsches Sprichwort, falscher Zeitpunkt, falsche Hoffnung.

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