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"KURIER"-Kommentar von Andreas Schwarz: "Nervendes Mittelmaß muss nicht sein"

Die Große Koalition ist als System tot - was spricht gegen ein neues Wahlrecht?

Wien (OTS) - Wenn es irgendetwas gibt, das noch mehr nervt als der Dauerstreit in der Regierung, dann sind es Politologen, Umfragen und Kommentare, die bestätigen, dass der Dauerstreit in der Regierung nervt. Das wissen wir.
Und wir wissen auch, dass sich an der unerquicklichen Lage auch nach dem Regierungs-Geburtstag nichts, aber auch gar nichts ändern wird. Trotz nervender gegenteiliger Beteuerungen.
Selbst die Arbeitsbereiche, die Rot und Schwarz schließlich doch noch erledigen - und das waren im ersten Jahr gar nicht so wenige -, werden von Zank und Hader überdeckt. Und zwar nicht, wie uns immer wieder weisgemacht werden soll, weil da eben zwei so unterschiedliche Parteien am Werke sind. Sondern weil der Streit unvermeidbares System hat.
Die Volkspartei, die sich als Motor in der Regierung versteht und das Wahlergebnis vom Oktober 2006 als kleinen Irrtum der Geschichte klassifiziert, kann gar kein Interesse an einer reibungsfreien Regierungsarbeit haben. Denn die Lorbeeren würde der Kanzler einfahren, und der Geschichtsirrtum würde bei den nächsten Wahlen einzementiert.
Die SPÖ wiederum streitet aus heiligem Zorn, weil sie sich -endlich wieder an der Macht - um genau diese Lorbeeren geprellt fühlt.
Das Modell Große Koalition wird, wer immer Erster ist, auf alle Zeiten davon geprägt sein: Mittelmäßige, weil nur auf Kompromiss-Basis zustande kommende Ergebnisse und übermäßiger Konflikt.
Daher verdienen die immer häufiger auftauchenden Vorschläge nach einer Änderung des Wahlrechts hin zum Mehrheitswahlrecht endlich Beachtung. Der Wahlsieger erhält die Hälfte der Mandate plus eines und regiert, die anderen Parteien erhalten starke Minderheiten- und Kontrollrechte im Parlament.
Dass die kleinen Parteien damit um die Gelegenheit umfallen, hie und da mitzuregieren, ist schade, aber auch kein Verlust. Schon gar kein demokratiepolitischer.
Dass der Wechsel der Regierenden jedes Mal auch einen extremen Politik-Wechsel mit sich brächte, ist Unfug: Am Beispiel Großbritannien (New Labour) zeigt sich, wie sehr die Großen gerade aufgrund dieses Wahlrechts ihre extremen Kanten verlieren und Vernunftpolitik der Mitte machen, auch Positionen der Kleinen einbeziehen.
Ein solches neues Wahlrecht in Österreich mit dem Konsens aller Parteien beschließen zu wollen, ist natürlich Illusion - Grüne, FPÖ und BZÖ machen nie mit.
Aber wie wär’s, einmal die Bevölkerung zu fragen (und zwar mit weitaus größerer Berechtigung als nach dem EU-Vertrag)? Die wählt nämlich, und die ist nicht nur am meisten genervt, sondern auch am meisten betroffen von einer mittelmäßigen Koalitionspolitik. Vielleicht schätzt sie ja klare Entscheidungen. Und wenn sie das tut, wäre das eine Basis, eine Wahlrechtsänderung anzugehen. Wenn nicht, muss sie strapazierte Nerven erdulden. Denn die verursacht, wie gesagt, das System.

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