"Die Presse" Leitartikel: Von Helden und "Hosenscheißern" von Burkhard Bischof
Ausgabe vom 10.01.2008
Wien (OTS) - Der Prager Premier Topolánek könnte mit einem Vulgärausfall einen interessanten Diskurs angestoßen haben.
Mirek Topolánek ist schon ein ziemlich komischer Kauz. Mal droht der tschechische Regierungschef einem Paparazzo, der seiner neuen Lebensgefährtin auflauert hatte: "Ich bring dich um" - und tritt wütend gegen dessen Wagen. Dann wieder zeigt er im Parlament einem Redner den "Stinkefinger".
Den würde er auch liebend gerne den ganzen Tag den Journalisten seines Landes entgegenstrecken. Die tschechische Medienwelt bezeichnete er in Anlehnung an seinen genauso zur Derbheit neigenden Vorvorgänger Milo? Zeman einmal als "Jauchegrube". Er selbst gab zu, eine "schwarze Liste" über Journalisten zu führen. Wenn ein Berichterstatter einmal etwas Unsauberes mache, bekomme er ein schwarzes Pünktchen - "und leider gibt es immer weniger Journalisten ohne solche Punkte", fügte er oberlehrerhaft hinzu.
Wie gesagt: Mirek Topolánek ist ein ziemlich komischer Kauz. Dazu ist er auch noch ein Choleriker. Jetzt aber ist seine in Tschechien bereits berüchtigte cholerische Impulsivität mit ihm völlig durchgegangen. Denn dass er seinen Landleuten in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung "Hospodárské noviny" ins Stammbuch schrieb, sie seien "Hosenscheißer", kann bei den so Angesprochenen nicht wirklich gut angekommen sein.
"Die Tschechen sehen alles negativ, und wenn etwas passiert, dann scheißen sie sich in die Hose", sagte Topolánek wörtlich in Zusammenhang mit der Reaktion seiner Landsleute auf die Teuerungswelle, die ein neues Sparpaket seiner Regierung seit dem 1. Jänner mit sich bringt. Nachdem von überall Kritik an diesen derben Worten einsetzte, stellte der Premier seine Aussagen in einen geschichtlichen Kontext: Gerade in Zeiten historischer Umbrüche würden die Tschechen gerne "zurückweichen und sich verstecken". Topolánek dachte da offenbar an die Zerschlagung der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland 1938/39, die die damals gut gerüstete tschechoslowakische Armee widerstandslos hinnahm. Und er dachte wohl auch an den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen zur Niederschlagung des "Prager Frühlings" im August 1968, in dessen Gefolge das Land über zwei Jahrzehnte der "Normalisierung" in kollektive Lethargie verfiel. Man könnte auch noch das Jahr 1948 anführen, als die Kommunisten kaum gestört durch ihre politischen Gegner die ganze Macht im Land an sich reißen konnten. Ja, ja, die Tschechen haben viele solche Schicksalsjahre mit einer 8 hintendran.
Man muss ja nicht gleich den Hardcore-Ausdruck "Hosenscheißer" aus der hintersten Bierstube verwenden, wie es Topolánek getan hat: Das Verhalten von Nationen in brisanten Umbruchszeiten darf man allemal diskutieren - vor allem in einem Gedenkjahr wie dem diesjährigen. Insofern hat Topolánek vielleicht ungewollt sogar einen ganz guten Anstoß für den historischen Diskurs gegeben.
Die Tschechen sind tatsächlich nicht wie die Polen, die sich den Nazi-Panzern auf Pferden und mit Schwertern bewaffnet entgegenwarfen, wie der tschechische Präsident Václav Klaus richtig sagte. Aber man kann doch darüber reden, ob auch gegen einen übermächtigen Gegner -wie es für Tschechen und Slowaken 1938/39 die Nazi-Truppen oder 1968 die Armeen der anderen Warschauer-Pakt-Staaten waren - der selbstmörderische Verzweiflungskampf die Klügste aller Abwehrmethoden ist.
Keine Nation hat ausschließlich nur Helden oder nur Feiglinge hervorgebracht. Aber in manchen Nationen sind die Helden dünner gesät. Zum Beispiel bei den Tschechen, wie Topolánek festgestellt hat - aber auch bei den Österreichern. Auch die österreichischen Heldengeschichten füllen keine Bibliotheken, auch in Österreich sollte gerade das Gedenkjahr 1938 wieder Anlass für selbstkritische Reflexionen sein. Schließlich fiel auch hier damals kein Schuss gegen die einmarschierenden Nazi-Truppen - dafür wurde Hitler von hunderttausend Menschen auf dem Wiener Heldenplatz bejubelt. Topolánek also hat mit seinem Vulgärausfall eigentlich die Österreicher wieder einmal daran erinnert, wie ähnlich sie doch ihren nördlichen Nachbarn sind. Auch wenn das manche hierzulande gar nicht gerne hören - etwa in der Wiener Muthgasse. Die dort zuhauf werkenden Nuklearspezialisten der "Kronenzeitung" versehen das Wort AKW Temelín notorisch mit der Beifügung "Schrottkraftwerk", dem Prager Außenminister Schwarzenberg verleihen sie inzwischen taxfrei den Titel "Atomfürst". Merke: Auch pöbelhafte Sprache ist keine Spezialität der Tschechen.
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