• 22.12.2007, 18:31:14
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"Kleine Zeitung" Kommentar: "Die Grenzbalken im Kopf" (Von Hubert Patterer)

Ausgabe vom 23.12.2007

Graz (OTS) - Die Große Koalition sollte das Land moderner und
weiter machen. Bilanz eines Scheiterns.

Die Österreicher blicken mit Zuversicht in das Neue Jahr, hat ein
Meinungsforschungsinstitut erhoben. Das ist eine ermutigende geistige
Haltung, die das Wohlergehen vieler Bürger und des Landes
widerspiegelt. Es geht beiden geschichtlich gut, auch wenn jene
Menschen, für die das nicht gilt, weil sie das Tempo nicht schaffen,
im Schatten solcher Umfragen bleiben. Sie können auch die Klage über
die knappe Zeit nicht nachvollziehen, weil sie nicht zu wenig,
sondern zuviel Zeit haben. Sie wären gerne Teil der Hektik.

Schön wäre, ließe sich die demoskopisch bescheinigte Zuversicht der
Menschen nicht nur auf die persönlichen Verhältnisse, sondern auch
auf die politischen beziehen. Doch da will kein Licht ins Dunkel
scheinen. Die Aussichten, ein Hauch der großen Worte dieser Tage
könnte auch die beiden Regierungsparteien streifen, bleibt unerfüllt:
Kein Heil, kein Ankommen, keine Erwartung. Diese Große Koalition ist
inhaltlich-konzeptiv schon nach einem Jahr am Ende, weil sie sich
gegenseitig machtpolitisch annulliert.

Sie vermag keine Idee vom Land zu entwickeln, keine Vorstellung, kein
Ziel. Die viele Macht, die sie vereint, vergeudet und neutralisiert
sie im Gegeneinander und wechselseitigen Verunmöglichen oder aber sie
missbraucht sie, indem sie Gesetze und deren Verschärfung ohne
Begutachtung, vorbei an den Ausschüssen, autoritär durchpeitscht.

Die Entfaltung einer innovativen Kraft, die Erstarrtes aufbricht und
Neues schafft, kann unter diesen Umständen nicht gelingen; nichts
versinnbildlicht diese Lähmung mehr als die bizarre, abgründige
Verankerung des Kammerwesens in der Verfassung.

Selbst dort, wo man sich einig ist, in der Europafrage, ist die
Regierung unfähig, geeint und überzeugend zu handeln, die Bürger
aufzuklären und der Hetze des größten Boulevard-Mediums
entgegenzutreten.

Man muss schon historisch völlig apathisch und stumpf sein, um den
großen geschichtlichen Moment nicht zu erkennen, der durch den
Wegfall der Grenzen zu den neuen europäischen Nachbarn geschehen ist.
Anstatt gemeinsam das historische Wunder vor Augen zu führen, dessen
buchstäblicher Zaungast Österreich sein durfte, anstatt gemeinsam den
Ängsten zu begegnen und ihnen die Chancen für die Jungen, das Land
und die Wirtschaft gegenüberzustellen, sägten beide
Regierungsparteien getrennt und selbstgefällig an ihren Schlagbäumen
oder riefen nach mehr Heer im Grenzraum.

Die Balken im Kopf sind zählebiger als die in der Wirklichkeit. So
hält auch eine große Koalition das Land klein. Die Zuversicht fällt
schwer. ****

Rückfragehinweis:
Kleine Zeitung
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Tel.: 0316/875-4032, 4033, 4035, 4047
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