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"KURIER"-Kommentar von Anneliese Rohrer: "Methusalem muss sich neu erfinden"

Zehn Jahre als Chef der Grünen könnten für Van der Bellen genug sein.

Wien (OTS) - Gerechtigkeit für Alexander Van der Bellen! Im Vorfeld seines Zehn-Jahres-Jubiläums werden immer wieder die Dauer seiner Führungsposition und sein Alter thematisiert. Für beides sind die Pokale aber schon vergeben. Wolfgang Schüssel schlägt Van der Bellen mit 23 Jahren im Nationalrat und 12 Jahren als VP-Chef locker. Josef Cap wiederum schlägt Schüssel mit 24 Jahren im Nationalrat. Und der Älteste im Plenum ist Van der Bellen auch nicht.
Interessant ist die Jahres-Klauberei nur, weil es sich um die Grünen handelt. Zehn Jahre Van der Bellen als Bundessprecher - am Donnerstag abzufeiern - sind deshalb eine Sensation, weil niemand der grünen Truppe eine so lange Zeit ohne Führungsstreit zugetraut hätte - auch sie selbst nicht. Aber auch für die Grünen gilt die eherne Faustregel in der Politik: Nichts ist so erfolgreich wie Erfolg! Oder glaubt jemand, Schüssel wäre ohne die Wahl 2002 über zehn Jahre Obmann geblieben?
Van der Bellen war zudem die personifizierte Überraschung in der Politik: Aus einem angriffigen, anarchistischen, aktionistischen Haufen machte er eine Partei, die 2002 so knapp an einer Regierungsbeteiligung, vulgo Hoffähigkeit, vorbei geschrammt ist; und die 2006 am dritten Platz auf der Parteirangliste landete, wenn auch nur durch die Spaltung des blauen Lagers.
Mit Es-War-Einmal-Märchen lassen sich keine zukünftigen Erfolge einstreifen. In den nächsten zwei Jahren werden die Grünen eine Entscheidung treffen müssen: Ist Van der Bellen als Person und Politikertyp der Partei etwa drei Prozentpunkte bei Wahlen "wert"? Können sie ohne ihn nur verlieren? Wenn ja, werden die wenigsten Grünen auf ihn als nächsten Spitzenkandidat verzichten wollen. Wenn nein, dann kann man die Auffassung vertreten, Van der Bellen entspreche als Person und Politikertyp nicht mehr den geänderten Anforderungen: Seine bedächtige Art war in den aufgeregten Zeiten nach der schwarz-blauen Wende goldrichtig. Bei ihm konnten sich viele Wähler wenigstens erholen, in seinen Sprechpausen durchatmen. Das beruhigte.
In Zeiten dieser rot-schwarzen Koalition aber müsste nun wenigstens die grüne Opposition losstürmen und die Mauer der Husch-Pfusch-Politik verbal sturmreif schießen. Die Antwort auf die Frage "Wo ist Van der Bellen?" müsste stets lauten: "Auf den Barrikaden!"
Im Moment findet man ihn aber bestenfalls "auf der Road Show" in Sachen Klimaschutz/Energie . Allerdings deutet diese Al-Gore-Nachahmung an, dass Van der Bellen möglicherweise bereit sein könnte, sich neu zu erfinden. Er beginnt auch, schneller zu sprechen. Wenn er also seine gemächliche Art aufgibt; es schafft, sich als Galionsfigur für verärgerte Wähler neu zu erfinden; wenn er es mit Verve noch einmal wissen will, wäre Alter nur eine Zahl und Funktionsdauer kein Thema. Sollte Methusalem jedoch nur mit der alten Masche in der Politik "Ich oder das Chaos" (bei den Grünen) operieren, dann wären zehn Jahre wahrlich genug.

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