Zum Inhalt springen

"Die Presse" Leitartikel: "The sound of Mieselsucht" (von Michael Fleischhacker)

Ausgabe vom 24.11.2007

Wien (OTS) - Der "Economist" hat Recht: Nicht einmal unsere
Politik kann den Erfolg zerstören, der aus dem Osten kommt.
Gestern erreichte uns das folgende Mail unseres Lesers Wolfgang Reisinger aus dem 14. Wiener Gemeindebezirk:
"Als Presse-Leser seit 35 Jahren ist mir natürlich bekannt, dass die Hauptsorge der Redakteure der unmittelbar bevorstehende Untergang des Abendlandes ist. Eine derartige Ansammlung von geballter Mieselsucht wie in den letzten Wochen - von Ihrem geschätzten Herrn Chefredakteur abwärts - gab es aber nicht einmal in den Zeiten eines Dr. Schulmeister oder eines Dr. Chorherr. Kritisiert wird, was das Zeug hält, vor allem die Politik, zunehmend aber auch die Wirtschaft, von staatsnahen Betrieben wie den ÖBB gar nicht zu reden. Zur Aufmunterung sei Ihnen der aktuelle Special Report des Economist empfohlen, der unter dem Titel ,The sound of success' ein ganz anderes Bild von Österreich zeigt."
Ja, der Economist, das ist so einer. Da mühen sich ein paar Dutzend mieselsüchtige Verwalter abendländischer Serienuntergänge über Jahre, die Welt im Allgemeinen und Österreich im Besonderen krankzujammern, und was machen diese Briten? Schreiben einen Österreich-Sonderreport mit dem Titel "The sound of success" und beginnen ihn mit drei Versen aus der Bundeshymne.
Herrn Reisingers Empfehlung, diesen special report zu lesen, habe ich selbstverständlich befolgt. Und ich kann die Empfehlung nur weitergeben. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die Antwort des Economist auf die Frage, was der mit Abstand wichtigste Grund für den wirtschaftlichen Erfolg der Republik während der vergangenen Jahre sei, mit jener der Presse deckt: Wir profitierten am stärksten von allen EU-Mitgliedern von der EU-Osterweiterung, so wie wir schon am meisten vom Aufgang des Eisernen Vorhangs nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus profitiert hatten. (Wie der Economist den entscheidenden Beitrag der Arbeiterkammer zur Abschottung des österreichischen Arbeitsmarktes unerwähnt lassen konnte, wird sich nie mehr klären lassen).

Der liebevoll ironische Ton in der Analyse österreichischer Erfolgstraditionen von der Sozialpartnerschaft bis zum Pensionssystem klingt dem Presse-Ohr irgendwie vertraut, und der Satz "Trains, trams und busses generally run on time" gehört zu den mieselsüchtigen Standardphrasen unserer abendländischen Untergangsleitartikel. Sehr interessant auch die Jubeleinschätzung unseres "once excellent education system", das zwar "signs of wear" zeige, aber immer noch "good in parts" sei. Ähnlich euphorisch äußern sich die Autoren zu so gut wie allen österreichischen Errungenschaften, die in der Friedlichkeit einer wohlgenährten Gesellschaft münden, aber dennoch nicht "als garantiert" angesehen werden sollten.
Sehr viel mieselsüchtiger als die Herrschaften vom Economist scheint die Presse-Redaktion also nicht zu sein. Zugegeben, noch haben wir nicht alle 16 Seiten des Sonderreports genau analysiert. Aber bisher haben wir keine Textstelle gefunden, in welcher der vom Sozialminister geplante Ausbau der Invaliditätspension zum Zwecke der Stabilisierung der Frühpensionszahlen auf vorbildlich hohem Niveau als erfolgskritisch gesehen oder die kostenstabilisierenden Vereinbarungen im jüngsten Finanzausgleich als zukunftsweisende Instrumente zur Sanierung der Staatsfinanzen eingestuft würden. Auch die Passage über die positive Beispielwirkung der Publizitätspolitik der Meinl European Land auf die europäische Börsenkultur konnten wir aus Zeitmangel bisher nicht finden, ebenso wenig wie jenen Abschnitt, in welchem die angelsächsischen Füchse die Kundenorientierung der österreichischen Post AG als globalen Benchmark für Dienstleistungsbetriebe aller Art vorschlagen.

Dennoch ist auch uns aus der Lektüre von "The sound of success" klar geworden: Alles wird gut. Wenn weder das politische System samt dem gegenwärtigen Personal noch die Gier einiger Oberschlauer oder die Trägheit der staatsnahen Betriebe die Jahrhundertchance, die uns die Öffnung im Osten gebracht hat, auch nur annähernd zunichte machen konnten, müssen wir uns nicht wirklich existenzielle Sorgen um die österreichische Zukunft machen.
Abgesehen davon bin ich der Ansicht, dass die wirkliche Existenzberechtigung der amtierenden österreichischen Bundesregierung in der Schaffung eines Mehrheitswahlrechts zur künftigen Verhinderung ihrer selbst besteht.

Rückfragen & Kontakt:

Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | PPR0001