- 05.11.2007, 19:14:41
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DER STANDARD-Kommentar: "Pfuscher am Werk" von Michael Völker
"Das Fremdenrecht jetzt nicht zu reparieren, ist verantwortungslos"; Ausgabe vom 6.11.2007
Wien (OTS) - Die ÖVP sieht "keinen Diskussionsbedarf", das
Fremdenrecht soll erst 2009 "evaluiert" werden. Das ist völlig
absurd. Aber leider auch die Position der SPÖ.
Das Fremdenrecht ist schlichtweg ein Pfusch. Es ist ein
problematisches, schlechtes Gesetz. Das wissen die Experten, das
wissen die Richter und die Höchstrichter, das weiß auch die
Bundesregierung. Und dennoch wollen Kanzler und Vizekanzler erst
einmal abwarten. Schließlich haben sie das Gesetz ja beschlossen -der
eine damals noch in der Rolle des SPÖ-Oppositionsführers, der andere
als ÖVP-Klubobmann.
Karl Korinek, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, ist zu Recht
verärgert. Für ihn ist es völlig unverständlich, warum das
Höchstgericht weiter eine Mängelverwaltung betreiben muss, nur weil
die Politik die Arbeit verweigert und ihrer Verantwortung nicht
nachkommt.
Immer wieder werden Teile des Fremdenrechts als verfassungswidrig
aufgehoben. Zuletzt etwa die Bestimmung zum Durchführungsaufschub.
Dabei geht es um Ausweisungen, die angeordnet, aber nicht
durchgeführt werden können, weil die betroffene Person etwa krank
oder schwanger ist. Laut Gesetz kann die Abschiebungsfrist aber nicht
verlängert werden. Die Regierung duldet in der Folge, dass diese
Menschen illegal im Land bleiben. Und sie hat in einer Stellungnahme
eingeräumt, dass diese Regelung verfassungswidrig ist.
Aber typisch Österreich, und mit ein bisschen Augenzwinkern: Das wird
schon irgendwie gehen, sollen die Betroffenen eben unzulässige
Anträge stellen, dann verlängert sich der Aufenthalt sowieso. Für den
VfGH kam dieser Schwindel nicht infrage, er hat die Bestimmung mit
sofortiger Wirkung aufgehoben. Obwohl eine Reparatur des Gesetzes
eigentlich Aufgabe der Regierung wäre.
Beispiele gibt es viele. Korinek hat etwa eine 80-jährige, behinderte
Türkin genannt, die abgeschoben werden soll, obwohl ihre Familie, die
sich um sie kümmert, legal in Österreich lebt. Abgeschoben werden
sollte auch ein Baby, dessen Mutter derzeit einen legalen
Aufenthaltstitel hat. Die Mutter könne ja mitgehen, empfahl die
Behörde, und in Nigeria zur Not auch der Prostitution nachgehen. Zu
einem nicht funktionierenden Gesetz gesellt sich im schlimmsten Fall
dann auch der unerträgliche Zynismus der Behörden oder einzelner
Beamten.
In Berufungsverfahren üben sich die Behörden in Familienzerreißung,
wenn sie etwa nur im Falle eines Familienmitglieds entscheiden und
die Ausweisung aussprechen, die anderen Fälle aber offenlassen.
Mittlerweile ist das Höchstgericht mit so vielen "Einzelfällen"
befasst, dass diese längst als Symptom eines in sich absurden
Gesetzeswerkes wahrgenommen werden müssten. Verschlimmert wird diese
Situation durch den Ermessensspielraum der Behörden, die das Gesetz
nach Belieben auslegen, in der Regel zuungunsten der Betroffenen.
Offensichtlich im Bemühen, der Regierung und ihrem Innenminister zu
gefallen.
Einen klaren Kriterienkatalog, wann ein humanitärer Aufenthalt zu
gewähren ist, hat nicht die Politik ausgearbeitet, der kam vom
Gericht. Ebenso wie die Anregung, den Betroffenen ein Antragsrecht
auf humanitären Aufenthalt zu gewähren. Der Regierung scheint es
offensichtlich nicht opportun, hier selbst Entscheidungen zu treffen.
Hinter vorgehaltener Hand geben auch Regierungsvertreter zu, dass sie
um die Fehler im Gesetz wissen, diese aber jetzt nicht reparieren
wollen - weil sie den Eindruck vermeiden wollten, sie würden einer
durch den Fall Arigona laut gewordenen Gegenöffentlichkeit nachgeben.
Lieber pfuscht die Regierung mit einem unzureichenden Gesetz weiter,
als hier selbst Entscheidungen zu treffen und in eine
zugegebenermaßen schwierige und emotionale Diskussion einzutreten.
Das ist die Verweigerung von Verantwortung: Eine Regierung, die nur
aus Selbstzweck regiert und sich vom Populismus treiben lässt, ist
schlicht verantwortungslos.
Rückfragehinweis:
Der Standard
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