• 24.06.2007, 16:30:38
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WirtschaftsBlatt Kommentar 25.6.2007: EU-Vertrag: Der GAU ist ausgeblieben - von Herbert Geyer

... aber der Weg, der da geöffnet wurde, führt in eine Sackgasse

Wien (OTS) - Stimmt: Der GAU ist ausgeblieben. Die von Polen
erzwungene Verschiebung der neuen Stimmrechtsverteilung bis 2017 wird
in der Praxis wohl ohne Auswirkungen bleiben (sie kann höchstens die
Aufnahme neuer Mitglieder Kroatien, von der Türkei redet momentan
ohnehin niemand behindern). Und dass ausgerechnet in jenem Land, das
sich für das Mutterland der Demokratie hält, künftig die
Menschenrechts-Charta der EU nicht einklagbar sein soll, müssen die
Briten vor allem mit sich selbst ausmachen.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass das, was da in Brüssel unter
schweren Geburtswehen zu Stande kam, erst der Auftrag an eine
Regierungskonferenz war, deren Ergebnis dann noch einmal von allen
Mitgliedsstaaten einstimmig genehmigt werden muss. Und dann in
ebendiesen Staaten auch noch von den nationalen Parlamenten
abgesegnet werden muss. In Dänemark und Grossbritannien regen sich
auch schon erste Stimmen, die dieses Ergebnis auch noch einem
Referendum unterziehen wollen. Ob der Kompromiss vom Wochenende also
tatsächlich einmal Gesetz wird, steht in den Sternen.
Vor allem aber wird immer wieder vergessen, dass die Verfassung, die
durch diesen Kompromiss in die Zukunft hinüber gerettet werden soll,
ihrerseits bereits ein Kompromiss war. Ein Kompromiss, dem bei der
Volksabstimmung in Frankreich auch viele EU-Befürworter die
Zustimmung verweigerten, weil dieser Vertrag in der Praxis kaum noch
abgeändert werden kann, da dafür wiederum die Einstimmigkeit aller
EU-Mitglieder erforderlich ist.
Ja, wir müssen froh sein, dass sich Europa nicht durch ein Nein zum
Reformvertrag völlig gelähmt hat. Es muss uns aber bewusst sein, dass
der Weg, der durch diesen Vertrag aufgemacht wurde, sich recht bald
als Sackgasse erweisen kann: Die Union schafft sich dadurch zwar die
Möglichkeit, Kroatien, später wohl auch Montenegro, Mazedonien,
Serbien und Albanien aufzunehmen. Aber sie wird schon vor dieser
Erweiterung in vielen Politikbereichen kaum noch vernünftige
Beschlüsse fassen können, weil für Steuern, Finanzen, Aussenpolitik
weiterhin Einstimmigkeit erforderlich bleibt. Sie wird zwar einen
Hohen Vertreter für die Aussen- und Sicherheitspolitik haben (der
nicht Aussenminister heissen darf), aber keine gemeinsame
Aussenpolitik.
Aus dieser Sackgasse gibt es wohl nur einen Weg: Ein paar Staaten
müssen sich finden, die sich zu einer echten Union
zusammenschliessen. Und diese Union muss so attraktiv werden, dass
sich ihr bald auch die Kleingeister rundum anschliessen.

Rückfragehinweis:
WirtschaftsBlatt
Redaktionstel.: (01) 60 117/305 oder /280
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