"Tiroler Tageszeitung" Kommentar: " Stürmische Jahre" (Von Michael SPRENGER)
Ausgabe vom 4. Jänner 2007
Wien (OTS) - Trotz aller Widersprüche und Gegensätze bemühen sich die Verantwortungsträger von SPÖ und ÖVP redlich, so zu tun, als sei die große Koalition auf Schiene. Mag ja sein, dass der christlichsoziale Machterhaltungstrieb so ausgeprägt und das sozialdemokratische Rückgrat so verbiegbar ist, dass die großkoalitionären Mutmaßungen heute in einer Woche zur Realität geworden sind. Doch wenn das so ist, dann erwarten uns innenpolitisch stürmische Jahre. Ob diese große Koalition jener stabilen Regierung entspricht, von der Bundespräsident Heinz Fischer seit Monaten spricht, kann angesichts der Befindlichkeiten der Akteure herzlich bezweifelt werden. Denn zu keinem Augenblick der so genannten Koalitionsverhandlungen hat man den Eindruck gewinnen können, dass SPÖ und ÖVP tatsächlich miteinander wollen. Zwischen den handelnden Personen besteht seit Jahren eine ausgeprägte Antipathie.
Zudem hat man augenblicklich den Eindruck, dass sich die Volkspartei redlich bemüht, ihre Grundsätze, weswegen sie am 1. Oktober die Nationalratswahlen grandios verloren hat, in den Koalitionsverhandlungen durchzubringen. Auf der anderen Seite verwässert die SPÖ ihre Forderungen, für die sie trotz Bawag-Desasters gewählt worden ist, auf sehr schwer zu ertragende Weise. Also beste Voraussetzungen für eine dynamische, neue große Koalition.
Zu guter Letzt verfolgen bestimmende Kräfte in der ÖVP immer noch den Plan einer Koalition mit BZÖ und FPÖ, die sie dann eine bürgerliche nennen. Selbst wenn die große Koalition vom Bundespräsidenten angelobt wird, besteht ja immer noch die Möglichkeit eines fliegenden Koalitionswechsels während der Legislaturperiode.
So betrachtet wäre eine SPÖ-Minderheitsregierung auf Zeit (und einem freien Spiel der Kräfte im Parlament) mit anschließenden Neuwahlen die anständigere Variante.
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