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Eine Nato der Krieger oder der Biertrinker?

"Presse"-Leitartikel von Burkhard Bischof

Wien (OTS) - Beim Gipfel des westlichen Bündnisses im lettischen Riga wird es keine richtungweisenden Beschlüsse geben.

Vor gut eineinhalb Jahrzehnten war Riga noch eine verschlafene sowjetische Provinzhauptstadt. In den mittelalterlichen Gassen der lettischen Metropole wimmelte es von Rotarmisten, auf dem Flughafen standen hunderte Militärflugzeuge mit dem roten Stern - Riga war schließlich Hauptquartier des sowjetischen Militärbezirks Baltikum. Ab heute aber wird der Flughafen von Riga voll sein mit Regierungsjets, die aus den Hauptstädten der 24 anderen Nato-Mitgliedstaaten angeflogen sind, und in den Straßen und Gassen der Stadt werden sich Politiker, Beamte, Militärs und Journalisten aus Europa und Nordamerika tummeln. Dass die einstige Sowjetrepublik Lettland heute Allianz-Mitglied ist und ihre Hauptstadt der Schauplatz eines Nato-Gipfels, ruft erneut in Erinnerung, wie dramatisch die Welt, vor allem die europäische, sich seit dem Ende des Kalten Krieges gewandelt hat.
Der frühere Gegner der Nato, der Warschauer Pakt, ist längst nur noch ein Thema für Historiker - die Nato selbst aber ist heute stärker denn je. Nur noch ein paar Flecken auf der europäischen Karte sind nicht im Nato-Blau eingefärbt. Die Nato ist größer, auch ihre Aufgabenstellung ist eine andere als zu Zeiten des Kalten Krieges -ist aber auch ihre Akzeptanz gewachsen?
Es waren immer die Amerikaner, die im Bündnis den Ton angaben. Washington sieht die Nato als wesentliches Instrument seiner globalen Sicherheitspolitik. Inzwischen laufen drei größere Nato-Militäroperationen - Afghanistan, Kosovo und im Mittelmeer. Schon längst geht es dem Bündnis nicht mehr um den Schutz des europäischen Territoriums, die Nato ist auf amerikanisches Drängen hin eine interventionistische Organisation geworden.
Geblieben ist der uralte Streit um die Lastenteilung. Seit es das Bündnis gibt, fordern die USA, dass die Europäer mehr Mittel für Verteidigungszwecke aufwenden, während diese alle möglichen guten und schlechten Argumente aufzählen, warum sie das nicht können. Jetzt, beim Einsatz in Afghanistan, dreht sich der Streit um Lasten nicht um finanzielle, sondern um menschliche Opferbereitschaft. Briten, Kanadier, Niederländer, angeführt von den Amerikanern, werfen den Deutschen vor, dass es sich die Bundeswehr in ihrem Einsatzgebiet im Norden Afghanistans gemütlich machen würde, während sie selbst im unruhigen Süden im Kampf gegen die Taliban den Schädel hinhalten müssten. Der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung ist schon so oft mit dieser Kritik konfrontiert worden, dass ihm jetzt der Kragen platzte: "Ich finde es unverschämt, wenn gesagt wird: Die trinken Bier, und wir müssen kämpfen. So ist es nicht." Tatsächlich hat sich auch die ehedem bei militärischen Auslandseinsätzen so restriktive Bundesrepublik Deutschland seit dem Ende des Kalten Krieges sehr weit bewegt; 64 Bundeswehr-Soldaten sind seither bei internationalen Missionen ums Leben gekommen. Selbstverständlich sind bei der Jagd auf die Taliban im Süden Afghanistans auch Angehörige des deutschen Kommandos Spezialkräfte (KSK) mit dabei, also Elite-Soldaten. Und dass niemand in Deutschland Wehrpflichtige in den heimtückischen Krieg nach Südafghanistan entsenden will, ist auch verständlich. Außerdem: So ruhig und ungefährlich ist die Lage auch in Nordafghanistan nicht.

Auch wenn das Einsatzgebiet der Nato sich in den letzten Jahren bedeutend erweitert hat: Es gab und gibt in Europa - mit Ausnahme von Großbritannien - eine starke Zurückhaltung, an der Seite der Amerikaner überall in der Welt militärische Präsenz zu zeigen. Und angesichts des Desasters, das die USA mit ihrer Militärintervention im Irak verursacht haben, konnte diese Zurückhaltung nur größer werden. Wenn aus Afghanistan dann auch noch immer mehr Zinksärge mit Gefallenen in die Truppenentsender-Länder zurückkommen und Bilder von Opfern und Zerstörungen der Nato-Einsätze über die heimatlichen Bildschirme flimmern, wird die öffentliche Zustimmung zur Afghanistan-Mission noch weiter schwinden.
Die Ergebnisse des Nato-Gipfels werden vor diesem Hintergrund eher mager ausfallen. Es wird keine Entscheidung über eine bedeutende Ausweitung des Nato-Einsatzes in Afghanistan fallen. Es wird keine Zustimmung der Europäer zu einer von den USA gewünschten "Globalisierung der Nato" (Heranführung von Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea) geben. Die Tür für beitrittswillige Mitgliedsländer wie Georgien wird in Riga nicht aufgesperrt. Die Nato wird in den nächsten Jahren auf der Stelle treten. Jedenfalls, bis im Weißen Haus eine Wachablöse stattgefunden hat.

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