• 26.10.2006, 10:38:17
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Erklärung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zum Nationalfeiertag 2006

Wien (OTS) - Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung,
liebe Österreicherinnen und Österreicher!

Dieser Sonderministerrat findet an einem besonderen Nationalfeiertag
statt: Am Ende der XXII. Gesetzgebungsperiode, wenige Tage vor der
konstituierenden Sitzung des neu gewählten Natuionalrates. Daher gibt
es Anlass für eine Bestandsaufnahme: Nicht nur für eine Rückblende,
sondern auch für einen Blick nach vorne auf die Herausforderungen,
die Aufgaben und vor allem Chancen, die vor uns liegen. Dabei macht
uns jedes Jahr um zahlreiche Erfahrungen und Erkenntnisse reicher.

Insgesamt kann man durchaus auch nach dem Wahlkampf feststellen,
Österreich steht gut da, unser Land ist gut aufgestellt und bestens
gerüstet für die Zukunft!

Wir sind in Europa in wichtigen Bereichen von den hinteren Rängen
weit nach vorne gerückt: Bei den Staatsfinanzen- wir haben nur 1%
Budgetdefizit-, beim Wachstum -deutlich über 3%-, bei der
Steuerquote, die sich in Richtung 40% bewegt, bei der Forschung, bei
der Inflation, bei der Stabilität des Geldwertes und bei der
Modernisierung der Verwaltung. Die gesenkte Steuerlast belässt den
Bürgern mehr Geld zum Leben und den Unternehmern auch mehr Geld für
Investitionen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen. In der Hälfte der
Arbeitsmarktbezirke Österreichs kann man heute schon wieder von
Vollbeschäftigung sprechen. Unser Exportanstieg liegt seit den
letzten 5 Jahre um 2/3 über dem EU-Schnitt. Wir werden heuer die
Schallmauer von Euro 100 Mrd. bei den Exporten durchstoßen. Alleine
heuer entstehen durch gestiegene Exporte 63.000 Arbeitsplätze in
Österreich.

Wir haben den Umstieg zur Wissensgesellschaft gemacht: Noch nie zuvor
in der Geschichte Österreich ist soviel geforscht, gelernt und
entwickelt. Und dem Bürger steht eine modernere und leistungsfähigere
Verwaltung zur Verfügung, fast alle Amtswege können heute von zu
Hause aus am PC erledigt werden.

Wir haben es aber auch geschafft, durch notwendige, mutige und
langfristige Reformen das soziale System auch für die Zukunft auf
gesunde Beine zu stellen. Das harmonisierte österreichische
Pensionssystem ist mittlerweile zum internationalen Benchmark
geworden. Das Gesundheitssystem, das jedem unterschiedslos Zugang zur
Spitzenmedizin gewährleistet, hat vielfach Vorbildcharakter. Und in
punkto Sicherheit liegt unser Land unter den besten drei weltweit.

In dieser Stunde des Nachdenkens stehen wir aber auch immer wieder
vor neuen Fragen, denen wir uns in Zukunft zu stellen haben: etwa der
Frage nach einem funktionierenden Zusammenleben; einer Balance der
Generationen, einer Balance zwischen sozialer Umsicht und
wirtschaftlichem Fortschritt, ohne die es keinen Wohlstand und keine
Freiheit gibt, der Schaffung von optimalen Entwicklungs- und
Lebensmöglichkeiten für die Jugend und die nächste Generation und
nicht zuletzt der Frage der nachhaltigen Finanzierung der
gesellschaftlichen Bedürfnisse. Wir müssen uns auch im Interesse der
sozialen Sicherheit und des sozialen Zusammenhalts den Fragen nach
den Grenzen von Zuwanderung und den Herausforderungen in der
Integration von Zuwanderern in unsere Gesellschaft stellen.

Für mich steckt die Antwort auf diese wichtigen Zukunftsfragen vor
allem in der Verantwortung, die jeder im Staat - Politiker und Bürger
- tragen muss. Verantwortung tragen heißt für mich: Jeder muss an
seinem Platz das Beste geben, dabei aber immer das Wohl der anderen -
auch jener, die nach uns kommen - mit im Auge haben. Verantwortung
tragen heißt: Den Starken Entfaltung ermöglichen, die Schwachen
stützen und schützen! Die Teilung der Verantwortung zwischen dem
Einzelnen und der Gemeinschaft hat sorgfältig und nach dem Grundsatz
der Subsidiarität zu erfolgen. Die Leistungsfähigkeit der Menschen
ist dabei besonders zu berücksichtigen.

Die Bewahrung dieser dynamischen Balance sind wir nicht zuletzt jenen
Frauen und Männern der Aufbaugeneration schuldig, denen wir den
heutigen Festtag und den Erfolg unseres Landes maßgeblich verdanken.
Einigen von Ihnen leben noch und einigen können wir so unsere
Anerkennung persönlich zurückgeben, indem wir ihren Lebensabend
sichern, und ihre persönlichen Anliegen, Bedürfnisse und Nöte durch
bestmögliche Gesundheitsversorgung und Betreuung berücksichtigen.

Der Leitspruch einer solchen Verantwortungsgesellschaft in meinen
Augen wird wohl besten mit den Worten zusammengefasst: "Jeder so gut
er kann." Der Vorrang der Ellenbogen passt in unserer Zeit ebenso
wenig wie die absolute Bevormundung des Staates, die den Menschen
Wahlfreiheit und Entwicklungsmöglichkeiten nimmt. In Österreich war
dieses dynamische Gleichgewicht selbst unter den großen
demographischen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre
immer gegeben. Das bestätigen viele Studien und Umfragen im In- sowie
im Ausland, wo der österreichische Reformweg oft als Synonym für
moderne und verantwortungsvolle Zukunftsvorsorge vor den Vorhang
gebeten wird.

Wer auch immer in Zukunft an diesem Ministerratstisch Platz nehmen
wird, der muss bereit sein, dieses in Österreich gewachsene Modell
der Ausgewogenheit als verantwortungsvolles Erbe zu übernehmen. Das
bedeutet keineswegs, die eigenen politischen oder persönlichen
Überzeugungen in Politik oder Gesellschaft aufzugeben, aber es
erfordert sehr wohl die Achtung jener Grundwerte und Prinzipien, auf
denen unsere Gesellschaft aufgebaut ist und im Zweifel sind diese
Gesamtinteressen den Einzelinteressen mancher Gruppen immer
voranzustellen.

Meine Damen und Herren!

Der heutige Tag steht in den Geschichtsbüchern als Datum, an dem
Österreich in voller Freiheit und Selbstbestimmung seinen Weg in die
Zukunft gewählt hat. Wir haben1955 die alleinige Verantwortung für
unser Schicksal in die Hand bekommen und in die Hand genommen. Und
diese Verantwortung gilt es täglich neu zu tragen.

Gerade ein souveräner und neutraler Staat, muss also das Thema der
Sicherheit seiner Bürger, den Schutz seiner Bürger sehr ernst nehmen.
Dazu gehört die Pflicht, unser Land zu Land und in der Luft zu
verteidigen. Das ist ein Pflichtbewusstsein, das eine lange Tradition
in der Geschichte der 2. Republik hat und von allen
Bundespräsidenten, Bundeskanzlern, Verteidigungsministern und
Innenministern ungeachtet der parteipolitischen Zugehörigkeit
wahrgenommen worden ist. Die Wahrnehmung dieser Verpflichtung liegt
in unserer gemeinsamen Verantwortung und trifft die Rekruten, die
heute auf dem Heldenplatz angelobt werden, ganz genauso, wie die
Mitglieder der Bundesregierung, die ihr Gelöbnis auf eben diese
Verfassung vor dem Bundespräsidenten ablegen.

Vor wenigen Tagen haben wir den 50. Jahrestag der von Moskau brutal
niedergeschlagenen Revolution unserer ungarischen Nachbarn gegen den
Kommunismus begangen. Damals hat das junge und kleine österreichische
Bundesheer in seinem ersten Einsatzfall zur Sicherung der Grenzen
nach Osten seine Feuertaufe bestanden.

Die Österreicherinnen und Österreicher haben in dieser Situation vor
50 Jahren auch bewiesen, dass sie ein wahrhaft großes Herz besitzen:
Die fast 200.000 ungarischen Flüchtlinge, die über die Grenzen
strömten, wurden großzügig aufgenommen, versorgt, umsorgt. Damit
wurde eine große humanitäre Tradition unseres Landes begonnen, die
wir uns bis heute bewahrt haben. Lange bevor man in Österreich den
Traum eines wiedervereinten Europas, in dem wir mit Sitz und Stimme
vertreten sind, zu träumen gewagt haben, und die Mitgliedschaft
Österreichs in einer großen europäischen Familie noch kein Thema war,
haben sich die Menschen in unserem Land damit als wahre Freunde,
Nachbarn und als echte Europäer gezeigt. Damals hat eigentlich
Österreichs europäischer Weg begonnen! Dass unser Land, seine
Wirtschaft und auch letztlich jeder einzelne Bürger heute im
Vergleich zu allen anderen EU-Staaten sehr stark, vielleicht am
stärksten am stärksten von diesem geeinten Europa durch eine
Friedens- und Stabilitätsdividende profitiert, hat seine Ursachen
nicht zuletzt in jenem offenen, herzlichen und
verantwortungsbewussten Zugehen auf unsere ungarischen Freunde und
Verwandten im Jahre 1956.

Heute ist das wiedervereinte Europa Wirklichkeit. In wenigen Wochen
wird die europäische Familie durch den Beitritt Rumäniens und
Bulgariens aus 27 Mitgliedern bestehen. Wenn wir am heutigen
Nationalfeiertag unsere Bundeshymne singen, so sind die Zeilen
"liegst dem Erdteil du inmitten, einem starken Herzen gleich" nicht
mehr nur Wunschbild einer Dichterin, sondern Realität, Ehre und
Auftrag. Dieser Auftrag wird fortgesetzt, das österreichische Herz
muss auch dem europäischen Körper weiter Impulse verleihen. Dazu
gehört in der Zukunft, wenn wir Frieden und Stabilität exportieren
und nicht Unsicherheiten importieren wollen, dass wir auch den
Ländern des Balkans ihren gebührenden Platz in Europa sichern.

Meine Damen und Herren!

Zum zweiten Mal hat unser Land in den ersten sechs Monaten dieses
Jahres den Vorsitz im Rat der Europäischen Union geführt. Wir haben
diesen Dienst für die Gemeinschaft in einer sehr herausfordernden
Zeit angetreten. Getreu dem österreichischen Motto einer dynamischen
Balance haben wir versucht, Europa einige Schritte voran zu bringen
ohne zu überfordern und dabei voranzugehen ohne einen unserer Partner
zurückzulassen. Wir haben das in einer guten, respektvollen und
hoffentlich auch inspirierenden Atmosphäre innerhalb Europas getan.
Auch dieses Klima ist Teil der österreichischen Kultur - eine
Tradition, die wir auch im gesellschaftlichen und politischen
Wechselspiel in unserer Heimat nicht vergessen sollten.

Erreicht werden konnten während der EU Präsidentschaft konkrete
politische Erfolge im Interesse Europas und Österreichs: Die
Verabschiedung eines soliden EU-Budgets, eine deutliche Aufstockung
der Forschungsprogramme, die Gründung des EIT, um dessen Sitz wir uns
bewerben, die Einigung bei der für das Jobwachstum entscheidenden
Dienstleistungsrichtlinie und nicht zuletzt die Zukunftssicherung des
ländlichen Raums in unserer Heimat. Österreich hat konkrete vorhaben
und qualitative Ziele für Arbeitsplätze und Wachstum eingebracht und
eine Einigung erzielt. Österreich hat auch eine Verständigung in der
Frage eines Fahrplanes für die Europäische Verfassung erzielt.

Auch heikle internationale Fragen, wie der Gasstreit zwischen der
Ukraine und Russland am ersten Tag des Österreichischen Vorsitzes,
der so genannte Karikaturenstreit, der Sieg der Hamas bei den
Palästinenser-Wahlen und die Erklärung des Iran, sein Atomprogramm
ohne jede Einschränkung wieder aufzunehmen fielen in das
Präsidentschaftshalbjahr und konnten mit Besonnenheit und Konsequenz
erfolgreich gehandhabt werden.

Der wichtigste Fortschritt war aber, dass das Vertrauen der Menschen
in das gemeinsame europäische Projekt weiter und wieder gewachsen
ist. Das gilt besonders für die Jugend. Sie, die bereits in einem
Europa ohne Stacheldraht und ohne eisernen Vorhang aufgewachsen ist,
die ja die Vorteile grenzüberschreitender Ausbildung und
Freundschaften täglich erlebt, sie sieht Europa vor allem als Chance.
Das gibt uns Hoffnung.

Wenn wir in diesen Tagen zurückblicken, können wir sagen:
Wahrscheinlich ist es uns in Österreich noch sie so gut gegangen wie
heute: Großen Dank wollen wir daher jenen zollen, die - sei es als
Unternehmer, sei es als Arbeitnehmer - täglich mit ihrem Einsatz die
Basis für unseren Wohlstand legen. Hinter unseren Erfolgen steht zu
allererst der Fleiß und das Engagement der Österreicherinnen und
Österreicher. Fürchten wir uns daher nicht vor der Globalisierung!
Wir können standhalten. Im Gegenteil - wir haben jeden Grund,
selbstsicher und optimistisch in die Zukunft zu blicken. Wir sind ein
gutes Land und Tag für Tag leisten die Menschen ihren Beitrag dafür,
dass Österreich weiterhin so bleiben kann. Der Staat ist gefordert,
diese Leistungsbereitschaft zu fördern und zu unterstützen, bietet
sie doch die Grundlage dafür, dass wir auch in Zukunft eine
lückenlose soziale Absicherung für jene bieten können, die sie
brauchen. Unser Land verdient auch eine weitsichtige und berechenbare
Politik, die überzeugende Antworten auf die Herausforderungen einer
globalisierten Welt geben kann

Meine Damen und Herren!

Die Geschichte des neuen Österreich seit dem Jahr 1945 ist eine
Erfolgsgeschichte. Daran weiter zu bauen, sie nicht zu gefährden, das
ist der Auftrag für uns alle. Nehmen wir daher gemeinsam die
Verantwortung für die Zukunft ernst, damit die Lebenschancen der
künftigen Generationen ebenso gesichert sind, wie jene in der
Gegenwart.

Herzlichen Dank!

Rückfragehinweis:
Nikola Donig
Pressesprecher des Bundeskanzlers
Tel.: (01) 531 15 / 2922

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