• 25.07.2006, 18:15:35
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Die hängen gebliebene Kosovo-Schallplatte

"Presse"-Leitartikel von Wieland Schneider

Wien (OTS) - Serben und Albaner wiederholen seit Jahren wie im
Schlaf immer nur dieselben Argumente. Rüttelt sie wach!

Die internationale Diplomatie ist wahrlich ein hartes Brot: Als wäre
es in der Wiener Innenstadt nicht schon heiß genug, muss man auch
noch ermüdende Monologe über sich ergehen lassen - zwar mit viel
Verve vorgetragen, aber dennoch langweilig, weil ohnehin nur
dieselben Argumente wiederkäuend, die man seit Jahren ohne Unterlass
hört. Als wäre irgendwann die Platte hängen geblieben:
"Unabhängigkeit und nichts anderes als die Unabhängigkeit"; "Nein,
keinesfalls Unabhängigkeit, alles andere, aber keinesfalls die
Unabhängigkeit"; "Selbstbestimmungsrecht der Völker"; "Nein, Recht
auf Unverletzlichkeit der Grenzen"; ...
Was Albaner und Serben einander - und der internationalen
Gemeinschaft - zur Lösung des Kosovo-Problems zu sagen haben, ist
wenig ermutigend. Das zeigte das jüngste Wiener Treffen der
Spitzenpolitiker aus Belgrad und Pristina nur allzu deutlich.
Ja, natürlich war es schon eine kleine Sensation, dass beide Seiten
überhaupt dazu gebracht werden konnten, an den Gesprächen
teilzunehmen; und dass beide Delegationen sogar bereit waren,
zusammen zu Mittag zu essen - abgesehen von Serbiens Premier Vojslav
Kostunica, der die gemeinsame Nahrungsaufnahme verweigerte. Offenbar
war ihm der Appetit vergangen. Vielleicht wegen der Hitze. Oder doch
aus Angst, ihm könnte ein Bissen im Hals stecken bleiben, wenn er am
selben Tisch wie der frühere albanische Rebellenchef Agim ceku
speisen muss?
Oder weil er, wie er selber behauptete, die Mittagspause dazu nutzen
wollte, um die vorgebrachten albanischen Argumenten zu studieren? Um
dann nur wenige Stunden später bei der Pressekonferenz zu verkünden:
Die Kosovo-Albaner hätten eigentlich gar keine wirklichen Argumente
für ihre angestrebte Unabhängigkeit.
Was wiederum die Albaner weitgehend kaltlassen konnte: Denn offenbar
gab es für sie ohnehin nicht viel zu bereden. Immerhin hatten sie ja
schon vor dem Treffen festgestellt, dass als "Kompromiss" für sie nur
die volle Eigenstaatlichkeit in Frage komme und sie über andere
Alternativen nicht einmal reden wollten.
Der gordische Knoten Kosovo sitzt also fest wie eh und je. Und weder
in Belgrad noch in Pristina scheint man derzeit bereit, ihn entwirren
zu wollen. Mehr "Flexibilität" haben die USA, Russland und die
wichtigsten europäischen Staaten nun von beiden Streitparteien
eingefordert - Flexibilität, die bitter nötig ist. Denn nicht einmal
in Detailfragen gibt es Bereitschaft zum Kompromiss. Da wird
verbissen gefeilscht um jedes kleine Dorf; darum, ob es nun Teil der
neuen serbischen Kosovo-Gemeinden mit Sonderbeziehungen zu Belgrad
werden darf oder nicht.
Fast hat es den Anschein, als wolle man sich weder in Belgrad noch in
Pristina auf irgendetwas einigen - geschweige denn auf den künftigen
Status der Provinz. Beide Seiten verlassen sich offenbar immer mehr
auf die große Weltpolitik: darauf, dass der UN-Sicherheitsrat die
Zukunft des Kosovo dekretiert. Was für die Verantwortlichen in
Belgrad und Pristina ja irgendwie ganz praktisch wäre. Denn wer will
schon einen Kompromiss unterschreiben und dann als "Volksverräter"
gelten; als der, der das "alte serbische Stammland" an die Albaner
verkauft hat; beziehungsweise als der, der die Eigenstaatlichkeit des
Kosovo verspielt hat, als diese erstmals in greifbarer Nähe schien.
Amerikaner und Europäer haben bereits deutlich signalisiert, dass
ihnen für den Kosovo eine "bedingte Unabhängigkeit" vorschwebt.
Offiziell ist den Albanern diese Eigenstaatlichkeit auf Raten zwar
nicht genug, am Ende würden sie diese aber wohl doch akzeptieren. Auf
serbischer Seite scheint sich ob dieser Tatsache bereits Ärger und
Zynismus breitzumachen. Belgrad setzt nun seine Hoffnung darauf, dass
Russland einen unabhängigen Kosovo in letzter Sekunde noch
verhindert. Und wenn's denn doch sein muss. Warum soll man dem dann
auch noch zustimmen?

Vielleicht ist letzten Endes tatsächlich eine oktroyierte Lösung
nötig. Ideal wäre das aber keinesfalls. Gerade auf dem Balkan, dessen
Geschicke jahrhundertelang von Großmächten bestimmt worden waren. In
einer Region, in der Geschichtsmythen die wildesten Blüten treiben.
Um eine Vereinbarung zu erzielen, müssen erst beide Streitparteien
wachgerüttelt werden. Die Albaner müssen verstehen, dass sie sich in
vielen Punkten großzügiger zeigen sollten, um ihren Traum von
Selbstbestimmung erfüllen zu können. Und Serbien muss der bitteren
Wahrheit ins Auge blicken, dass es die Zeit nicht hinter 1999 oder
gar bis ins Mittelalter zurückdrehen kann. Die internationalen
Diplomaten haben - trotz des heißen Wetters - also noch viel zu
arbeiten.

Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445

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