• 06.07.2006, 18:15:47
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Wiener Zeitung: Andreas Unterbergers Kommentar

Die Einäugigen

Wien (OTS) - Manchmal muss man offensichtlich auch an
Selbstverständlichkeiten erinnern: Es ist das Recht der Slowakei,
sich jene Regierung zu wählen, die sie will. Es ist das Recht der
europäischen Sozialisten, aus ihrem Parteienverbund auszuschließen,
wen sie wollen. Und es ist das Recht der Außenwelt, all das zu
beurteilen.
Wenn sich nun in Pressburg drei opportunistische und wortradikale
Gruppierungen zusammenschließen, dann muss sich das Land gefallen
lassen, statt als europäisches Musterland, als welches es in den
letzten Jahren wegen seiner Erfolge rundum gelobt und nachgeahmt
worden ist, wieder als Sorgenkind behandelt zu werden.
Vorverurteilungen sind aber noch nicht am Platz: Noch ist keine
einzige Reform zurückgenommen, kein einziger slowakischer Ungar
diskriminiert worden.

Wenn die internationale Sozialdemokratie ihre slowakische Filiale
(die bisher nur als linkspopulistisch einzustufen war) ausschließen
will, weil diese mit rechtsnationalistischen Gruppierungen koaliert,
dann muss sie sich schon die Frage gefallen lassen: Warum schweigt
sie bei jenen Schwesterparteien, die mit Kommunisten koalieren - und
zwar auch mit solchen, die keine Reue in Hinblick auf den einstigen
"real existierenden Sozialismus" zeigen? Dieser war mit seinen 80
Millionen Todesopfern und noch viel mehr zerstörten Menschenleben
quantitativ immerhin die blutigste Ideologie der
Menschheitsgeschichte. Sind die Sozialdemokraten auf einem Auge
blind? Oder sind sie immer nur mutig, wenn es gegen kleine Länder
geht?

*

Einäugigkeit scheint auch die Haupteigenschaft des neuen - und mit
viel Vorschusslorbeer begleiteten - Menschenrechtsrats der UNO zu
sein. Zwar ist es richtig, die durch Israel der palästinensischen
Zivilbevölkerung zugefügten Leiden zu verurteilen. Absolut
unverständlich ist es aber, dass der UN-Rat nicht bereit ist, auch
die damit eng zusammenhängenden Völkerrechtsverletzungen durch die
Palästinenser konkret anzuprangern (wie es die Schweiz vorgeschlagen
hat). Immerhin haben palästinensische Einheiten zuerst einen
militärischen Angriff auf Israel unternommen und dort Geiseln
genommen, bevor Israel (freilich übertrieben) zurückgeschlagen hat.

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