- 29.06.2006, 18:54:40
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"DER STANDARD"-Kommentar:"Ortstafel-Zwickmühle" von Conrad Seidl
Ausgabe vom 30.6.2006
Wien (OTS) - Solche Tage sind nach dem Geschmack der Koalition:
Donnerstag wurde für den Ortstafelstreit eine Problemlösung
vorgelegt, Einigkeit demonstriert, Jörg Haider sogar ein bisserl als
staatsmännisch dargestellt. Und das Allerschönste daran: Das alles
geht voll auf Kosten der SPÖ. Denn ohne deren Zustimmung ist das
Verfassungsgesetz, das die neuen Ortstafeln rechtlich absichern soll,
nicht durchzubringen.
Dabei kann die SPÖ es gar nicht richtig machen: Stimmt sie zu, so
bestätigt sie einen Kompromiss, der nach Auffassung vieler
Verfassungsexperten zu wenig weit geht: Dass 142 Ortschaften
zweisprachige Tafeln bekommen, erscheint nicht nur Rudi Vouk vom Rat
der Kärntner Slowenen, sondern auch dem Verfassungsprofessor
Bernd-Christian Funk bedenklich. Immerhin bleiben die in der
Koalition getroffenen Vereinbarungen ziemlich weit hinter dem zurück,
was der Verfassungsgerichtshof als Maßstab herangezogen hatte: In
allen Ortschaften mit zehn Prozent slowenischsprachigem
Bevölkerungsanteil hätten auch entsprechende zweisprachige Tafeln
aufgestellt werden müssen. Davon ist der Kompromiss weit entfernt.
Politisch falsch wäre es aber erst recht, wenn das Verfassungsgesetz
an der SPÖ scheiterte: Dann müsste sich die große Oppositionspartei
nämlich vorhalten lassen, dass ihre Sturheit daran schuld ist, dass
die so einmalige Minderheitenfreundlichkeit von Haider und Schüssel
nicht zum Tragen kommt und, leider, leider, doch keine weiteren
Ortstafeln aufgestellt werden können.
Also wird wohl mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen ein
Verfassungsgesetz gezimmert werden, das die neue Regelung
verfassungsrechtlich schwerer angreifbar macht - und dass damit ein
Kompromiss auf niedrigem Niveau einzementiert wird, hat
praktischerweise die SPÖ mitzuverantworten.
Österreich hat damit 51 Jahre nach Abschluss des Staatsvertrags die
völkerrechtliche Verpflichtung zum Minderheitenschutz immer noch
nicht voll eingelöst. Jahre hat es gedauert, bis die Koalition die
wiederholten Aufforderungen des Verfassungsgerichtshofs, mehr
mehrsprachige Tafeln aufzustellen, überhaupt ernst genommen hat.
Monatelang hat man sich die Blockaden aus Kärnten gefallen lassen
müssen. Tagelang (und wie man hört: zuletzt auch nächtelang) ist
gefeilscht worden, welcher Ort nun als weitest gehend deutsch und
welcher als gemischtsprachig ausgeschildert werden soll. Zum Schluss
wussten nicht einmal die Verhandler mehr genau, wie viele Orte Tafeln
in slowenischer Sprache bekommen sollen.
Nur dass sie eine endgültige Lösung hätten, das meinten sie zu wissen
und der Öffentlichkeit präsentieren zu können - kurz nachdem es so
ausgesehen hatte, dass die Koalition am Streit um geografische
Bezeichnungen platzen und sie die Wahl ein paar Wochen vorverlegen
würde. Nein, diese Peinlichkeit ist uns erspart geblieben. Mit der
Peinlichkeit eines faulen Kompromisses in dieser symbolträchtigen
Frage wird das Land auf absehbare Zeit leben müssen.
Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70/445
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