Wiener Zeitung: Andreas Unterbergers Kommentar
Wien (OTS) - Erpressungsspiele
Die Gasheizung oder der Gasherd ist für viele von uns seit Jahrzehnten selbstverständlich geworden. Niemand denkt nach, warum Raum wie Essen auf Wunsch rasch warm werden. Plötzlich erscheinen nun diese Basiselemente unseres Lebensstandards bedroht. Ältere fühlen sich an Kriegs- und Nachkriegszeit erinnert, als viele Versorgungsstrukturen zusammengebrochen sind.
Fast könnte man glauben, mit raffinierter Strategie hat man uns alle von Jahr zu Jahr mehr vom Gas abhängig gemacht, bis die gesamte Industriegesellschaft danach süchtig war. Mit niedrigen Preisen und hohem Komfort war dieses Ziel leicht erreicht. Jetzt steigen die Preise rapid, und fremde Mächte spielen mit der Gasversorgung Erpressungsspiele. Dabei haben Weitsichtige schon in den 70er Jahren davor gewarnt, dass es extrem gefährlich ist, wenn - damals sogar: -90 Prozent unserer Gasversorgung aus einem Land kommen, nämlich der Sowjetunion.
Bei anderen Energieträgern - Öl und Strom - bestehen zwar auch gefährliche Abhängigkeiten. Aber nirgendwo kann so leicht eine Erpressung durch Unterbrechung der Versorgung realisiert werden. Die Russen erpressen die Ukraine, diese nimmt als Notwehr wieder Mitteleuropa zur Geisel.
Wir sehen hier erstmals, welche Preise wir für den Anstieg unseres Wohlstandes zahlen. Die Konsequenz kann nun nicht heißen, dass sich jedes Land wieder um Autarkie bemüht. Das ist von der Lebensmittel-bis zur Energieversorgung unrealistisch. In einem Land, das auf Kernenergie verzichtet, schon doppelt.
Eher noch kann da die EU Hoffnung geben: Immerhin könnte zumindest bei der Lebensmittelversorgung die sündteure Agrarpolitik einmal nachweisen, dass wir uns auf diesem Gebiet nicht allzu sehr sorgen müssen. Noch hilfreicher wäre es aber, wenn die EU eines Tages politisch so schlagkräftig wird, dass niemand mehr solche Spiele mit ihr treiben kann.
Aber bleiben wir realistisch. Und dann erscheint nur der Akzent auf mehr Krisenvorräten und auf einer stärkeren Diversifizierung der Bezugsquellen möglich. Aber auch das gibt es genauso wenig zum Nulltarif wie eine wirklich europäische Union.
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