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"Die Presse"-Leitartikel: "2006 droht höchste Populismusgefahr" von Martina Salomon

Ausgabe vom 2.1.2006

Wien (OTS) - Die SPÖ könnte mit "Krone"-Strategie Erste werden, die FPÖ beutet Ängste aus, und für Reformen wird's schwer.

Rein sachpolitisch gäbe es für die amtierende Regierung noch genügend Themen: zum Beispiel die beiden Monsterprojekte Bundesmitarbeitergesetz und Staatsreform. Realistisch gesehen, werden aber genau jene Materien nicht mehr zu "derheben" sein, die einer Zwei-Drittel-Mehrheit und damit der Zustimmung der SPÖ bedürfen. Denn Letztere hat sich schon längst dem Populismus auf "Krone"-Niveau verschrieben. Man betrachte nur die sozialdemokratischen Aussagen zur EU-Politik - sie unterscheiden sich kaum vom Anti-EU-Volksbegehren der Blauen. Allerdings ist durchaus denkbar, dass genau diese Strategie Alfred Gusenbauer zum Kanzler machen wird. Wobei der SP-Chef die tiefen Töne seinen Parteikollegen, etwa Josef Cap, überlässt. Die roten EU-Abgeordneten leiden überhaupt schweigend. Und wo bleibt eigentlich der Aufschrei linker Intellektueller über SP-Aussagen wie "Sex-Werbung" zur EU-Kunstaktion?
Umgekehrt hütet sich Wolfgang Schüssel wohl vor weiteren größeren Reformschritten. Die Privatisierung der Post wird er sich sicher nicht antun - dafür könnte man vom Wähler bestraft werden.
Stellt die ÖVP auch nach dem Herbst 2006 den Kanzler, dann wird wohl die Steuerbelastung für besser verdienende Angestellte sinken. Auch wenn die SPÖ jetzt Mittelstands-Entlastung verspricht, würde diese Gruppe unter einem Kanzler Gusenbauer - dank angekündigter Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage in der Krankenversicherung -noch mehr zur Kasse gebeten. Höhere Kassenbeiträge für alle könnte es allerdings in der nächsten Legislaturperiode auch unter der ÖVP geben. Aber ernsthaft thematisieren wird sie das nicht. Im Gegenteil.

Die Volkspartei rühmt sich vielmehr ihrer Gesundheitsreform (war da irgendetwas?), die SPÖ warnt hingegen vor dem Trend zur Zwei-Klassen-Medizin, obwohl alle bestehenden Selbstbehalte von roten Gesundheitsministern eingeführt wurden. Eines ist sicher: 2006 wird innenpolitisch das Jahr der unterschiedlichen Wahrheiten. Die SPÖ wird die hohe Arbeitslosenzahl anprangern, die ÖVP mit dem Hinweis auf den Beschäftigungsrekord reagieren. Beides ist nicht zu leugnen. Die Volkspartei möchte Wirtschaftsaufschwung und gute Budgetzahlen propagieren, die SPÖ das düstere Bild neuer Armut malen. Gusenbauer wird den Bildungsnotstand ausrufen, Wolfgang Schüssel seine Bildungsministerin verteidigen.
Aber wo bleiben da alle anderen Parteien? Könnte sein, dass sie im EU- und Wahljahr eher nur eine Statistenrolle spielen werden. Wobei den Grünen sehr zugute zu halten ist, dass sie zumindest dem EU-Populismus nicht verfallen sind. Das bringt natürlich auch Nachteile beim Aufmerksamkeits-Ranking in den Medien. Wie sonst ist zu erklären, dass Jörg Haider auch 2005 die Top-Position der präsentesten Politiker hält? Doch der Provokateur kann seine Dosis heuer nicht mehr erhöhen. Der BZÖ-Abspalter im April brachte natürlich noch fette Schlagzeilen. Aber vieles, was danach kam, ist nur mehr skurril. Etwa, wenn Haider dem Verfassungsgerichtshofpräsidenten mit Klage droht. Wo eigentlich, beim Salzamt? Die bunten Magazine haben ja jetzt ein neues Aufreger-Objekt gefunden: Heinz-Christian Strache. Aber es ist nicht sicher, ob er "Quotenbringer" wie Haider oder Kurt Krenn ersetzen kann.

Immerhin schafft Strache das, was Haider früher gelang: ein gewisses Themensetting. Allerdings bisher nur in der Ausländerfrage. Damit treibt er seinen Hauptkonkurrenten Jörg Haider vor sich her, der sicherheitshalber einen "Reformgipfel" zum Ausländerthema vom Kanzler gefordert hat (und auch bekommt). Die ÖVP wiederum verweist auf ihr "Sicherheitspaket" (vom Asyl- und Fremdenpolizeigesetz bis zum neuen Staatsbürgerschaftsrecht).
Die SPÖ, deren Innenminister stets Hardliner-Politik betrieben, warnt derzeit vor allem vor ausländischen "Billigarbeitskräften" und ist damit - nicht ungeschickt - wieder bei ihrem Kernthema Arbeitsmarkt gelandet. Über sinnvolle Vorschläge wie jenen von Innenministerin Prokop ("gezielte" und flexibler zu handhabende Zuwanderung Qualifizierter) wird in so einem Klima kaum mehr diskutiert.
Eine jüngste OGM-Umfrage zeigt die Brisanz des Themas: 49 Prozent der Befragten nehmen an, dass die Haltung der Österreicher zu den im Land lebenden Ausländern negativer als heute sein wird. Auch die EU-Skepsis ist übrigens nirgendwo so ausgeprägt wie in Österreich. Es ist nicht schwer, diese Stimmung zu missbrauchen. Im Jahr 2006 droht daher höchste Populismusgefahr.

martina.salomon@diepresse.com

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