- 27.09.2005, 17:58:30
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"Die Presse" Leitartikel: "Vaterland, Muttersprache - und kindischer Kram (von Eva Male)
Ausgabe vom 28.9.2005
Wien (OTS) - Der hohen Sendung Last für die Ministerin: Frauen
haben dringlichere Probleme als die Bundeshymne.
Diese Sorgen möchten wir haben - und dem Rothschild sein Geld. So mag
man angesichts der jüngsten Initiative von Frauenministerin Maria
Rauch-Kallat (VP) empfinden. Als ob es keine dringlicheren Probleme
gäbe: steigende Frauenarbeitslosigkeit, die immer noch klaffende
Einkommensschere zwischen Frauen und Männern, Schwierigkeiten beim
Wiedereinstieg nach der Babypause, Hürden bei der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Die Liste ist bekannt.
Man kann also nur der SPÖ-Bundesfrauenvorsitzenden Barbara Prammer
Recht geben, wenn sie empfiehlt, das Thema Bundeshymne zügig zu
erledigen, "damit wir uns wieder den wichtigen frauenpolitischen
Themen zuwenden können". Die Prioritäten von Frauen- bzw.
Familienpolitik sollten tatsächlich anderswo gesetzt werden: dort
nämlich, wo sie den realen Alltag von Frauen betreffen. Würde man
Österreicherinnen nach ihren Wünschen fragen, nach ihren
"geschlechtsspezifischen" Sorgen, dann käme ihnen der Text der
Bundeshymne wohl kaum in den Sinn. Bestenfalls unter "ferner liefen".
"Frauenpolitik ist auch Sprachpolitik", sagt Rauch-Kallat. Betonung
auf "auch". Bei jeglicher Politik, bei der Beschreibung
gesellschaftlicher Zustände geht es natürlich immer auch um Sprache.
Die Realität wird durch die Sprache abgebildet, unter Umständen aber
auch beeinflusst. Sprache sollte nicht hinterher hinken.
"Sprache ist eine Waffe", schrieb Tucholsky. Eine Waffe, mit der man
- unter anderem - Frauen ausschließen und gleichzeitig behaupten
kann, sie seien ohnehin "mitgemeint". In der feministischen
Linguistik wird - abseits der üblichen Blödeleien - durchaus ernst zu
nehmende Kritik artikuliert (nachzulesen etwa in dem "Klassiker" von
Luise F. Pusch: "Das Deutsche als Männersprache"). Da gibt es
Empfehlungen zum geschlechtsneutralen Sprachgebrauch - ohne dass
gleich das so genannte Binnen-I (etwa StudentInnen) überstrapaziert
werden muss. Bei Berufsbezeichnungen, Stellenangeboten etc.
Warum soll man sich beispielsweise als Frau "Magister" nennen, wenn
es schon im Lateinischen eine "Magistra" gibt? Warum an "sehr geehrte
Herren" schreiben, wenn es doch vielleicht auch Damen lesen? Selbst
in der Kirche wird die Lesung heute an "Brüder und Schwestern"
gerichtet.
So gesehen ist auch das Anliegen, den Text der Bundeshymne zu
modernisieren - oder gar durch einen zeitgemäßeren zu ersetzen -,
nicht per se absurd, sollte aber auf der Agenda der Politik, nicht
unbedingt der Frauenpolitik, ganz unten stehen. Quasi als
Fleißaufgabe, als Zierzeile. Über das "Wie" ist dann gesondert zu
diskutieren.
Die Idee ist ja nicht neu. Schon seit langem fordern Vertreterinnen
von SPÖ und Grünen eine geschlechtsneutrale Adaptierung des Textes.
Die Austria Presseagentur vermeldet nun im Zuge der neu aufgeflammten
Diskussion: "Bundeshymne: Grüne singen sie schon lange mit Töchtern."
Eine zweideutige Formulierung: Wörtlich genommen, stellt man sich da
ein paar Grüne vor, die mit ihren Töchtern die Bundeshymne singen . .
.
Ein hübsches Bild. Allerdings in der Praxis für die meisten von uns
unvorstellbar. Weder Töchter noch Söhne würden mit uns die
Bundeshymne singen, weil sie den Text ohnehin nicht können. Wenn man
da hingegen an die eigene Jugend zurück denkt: Die Bundeshymne, das
war bei uns wie Feueralarm-Probe. Wenn die Musiklehrerin im
Gymnasium, eine ältere Dame mit streng geknotetem Haar, aus heiterem
Himmel einen bestimmten Akkord in die Klaviertasten drosch, mussten
wir sofort aufspringen, Haltung annehmen und die drei Strophen der
Bundeshymne "absingen". Und wehe, es konnte sie jemand nicht
auswendig.
Schon damals haben wir ehrlich gesagt mit dem Text wenig anfangen
können. Hämmer zukunftsreich? Volk begnadet? Hoher Sendung Last? Heiß
umfehdet, wild umstritten - was sagt uns das heute? Wer von uns
schreitet denn frei und gläubig, arbeitsfroh und hoffnungsreich,
schwört dem vielgeliebten Österreich Treue? Selbst wenn man die
kritisierten "Söhne" und "Brüderchöre" außer Acht lässt, wirkt diese
Art von Patriotismus fremd, der Text überholt. Die Frage, wie fest
die Bundeshymne in der Bevölkerung verankert, wie wichtig sie für die
österreichische Identität ist, erscheint legitim. Zu überlegen wäre
freilich - von rechtlichen Aspekten einmal abgesehen -, ob man sich
dann nicht lieber gleich nach einer neuen Hymne umsieht, als am
vorhandenen Text herumzudoktern und zu -holpern.
Rückfragehinweis:
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Tel.: (01) 514 14-445
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