• 30.03.2005, 12:49:27
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Interview mit dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad

Baschar Al-Assad, der Präsident Syriens, über den Truppenabzug aus dem Libanon, das Verhältnis zu den USA und Friedensagebote an Israel.

Wien (OTS) - In einem Interview mit der morgen erscheinenden
Ausgabe von NEWS kündigt der syrische Präsident den vollständigen
Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon an: "Ich habe die
Absicht, die Forderung der UNO zügig zu erfüllen." Assad hält im
NEWS-Gespräch fest: "Ich stelle aber auch klar, dass dieser Abzug
schon im Jahr 2000 - lange vor der UN-Resolution - begonnen hat." Der
syrische Präsident äußert auch Unverständnis: "Die UN-Resolution übt
Druck aus, obwohl wir längst mit dem Rückzug begonnen haben. Der
Unterschied ist lediglich, dass wir mit den Libanesen unseren eigenen
Fahrplan akkordiert haben. Nun folgen wir eben der UN-Resolution.
Okay, damit haben wir kein Problem. Es sieht nun so aus, als ob wir
dem Druck der UNO nachgeben würden - in Wirklichkeit aber entspricht
der Abzug unseren Planungen. Wenn im April der UNO-Bevollmächtigte
Terry Rod Larsen kommen wird, werde ich ihm bereits das konkrete
Datum des Abschlusses unseres Rückzuges nennen können."

Zum UN-Report der Vorwoche, der die Umstände der Ermordung von
Rafik Hariri zum Inhalt hatte, äußert Assad sich kritisch: " Der
Report hat politischen Charakter - ich habe mir eine
technisch-kriminalistische Untersuchung erhofft. Zweitens: Uns wird
unterstellt, wir hätten zu einem Klima beigetragen, das die Ermordung
Hariris begünstigt habe. Wie kann man Syrien unterstellen, geistiger
Wegbereiter dieser Ermordung gewesen zu sein, wenn man den oder die
Täter überhaupt nicht kennt? Sollte man nicht zuerst wissen, wer es
war, bevor man solche Unterstellungen äußert? Vielleicht wurde das
besagte Klima von anderer Seite geschaffen, nur um Syrien die
Täterschaft zu unterstellen."

Es sei eine Tatsache, "dass Syrien bis zum Schluss gute
Beziehungen zu Hariri unterhielt. Wir haben seit den 90er Jahren mit
ihm zusammengearbeitet."

Zu einem klaren Schluss sei auch die UN-Kommission nicht gekommen,
meint Assad und betont: "Überlegen wir doch, wer von diesem Mord
betroffen ist: der Libanon - und Syrien. Wir zahlen nun den Preis.
Niemand in der Region hat von diesem Mord profitiert, weder Syrien
noch der Libanon noch ein anderes arabisches Land. Daraus kann man
gewisse Schlüsse ziehen."
Auf die Beschuldigung, Syrien sei an den jüngsten Bombenanschlägen im
Libanon beteiligt, meint Assad: "Jeder, der die Geschichte Syriens
und des Libanon kennt, weiß, dass Syrien Tausende von Soldaten
geopfert hat, um den Bürgerkrieg und die Unruhen im Libanon zu
beenden. Warum sollte Syrien etwas tun, das wieder zu Unruhen im
Libanon führt, für die am Ende nur wir und die Libanesen den Preis
zahlen? Die Sicherheit des Libanon ist ein Teil der syrischen
Sicherheit. Wer solche Attentate verübt, zielt auf unsere Sicherheit
und die des Libanon."

Auf die Vorhaltungen der USA angesprochen, Syrien würde
terroristische Aktivitäten im Irak unterstützen, meint Präsident
Assad, dass "kein Land der Erde seine Grenzen hundertprozentig dicht
schließen" könne: "Die Amerikaner sind außerstande, ihre Grenze zu
Mexiko dichtzumachen, aber von uns verlangen sie eine total dichte
Grenze zum Irak. Das ist unmöglich." In diesem Zusammenhang beklagt
Assad auch die mangelnde Kooperationsbereitschaft der USA: "In
Wahrheit wollen die USA gar kein Gespräch mit uns, denn nur so kann
die US-Administration behaupten, Syrien kooperiere nicht."

Dabei hätten Syrien und die USA im Irak gemeinsame Interessen -
die Einheit und Stabilität des Irak: "Und noch etwas: Wir sind gegen
die Okkupation des Irak. Die Amerikaner sagen: Kein Problem, denn wir
wollen ja nicht für immer im Irak bleiben. All diese gemeinsamen
Interessen wären eine gute Basis für einen gemeinsamen Dialog. In der
US-Administration gibt es aber leider einen Konflikt zwischen den
Befürwortern eines Dialoges mit uns und Gegnern eines solchen. Das
ist das Problem."

Den USA warf der syrische Präsident vor, in der Region zunehmend
kolonialistisch zu agieren: "Das wahre Problem ist, dass Amerika zu
einer Kolonialmacht wird. Im Gegensatz zu Großbritannien, Frankreich
und anderen europäischen Staaten waren die USA nie kolonialistisch.
Wir glauben, das hat sich geändert. Auch in den Zeiten größter
Spannung haben wir die USA als Staat betrachtet, der Konflikte in
Nahost verhindern will. Das hat sich geändert. Nun haben wir in
Israel eine Regierung, die keinen Frieden will, und wir haben eine
amerikanische Administration, die ebenfalls nicht besonders am
Frieden in Nahost interessiert ist." Assad beklagt die Passivität der
Europäer: "Welche Rolle wollen nun die Europäer spielen? Wollen sie
nur die Boten zwischen den USA und der Region sein? Das ist eine
passive Rolle. Wir vertrauen Europa, und wir haben gute Beziehungen
mit den meisten europäischen Ländern, aber ich sage immer, ihr müsst
aktiv und nicht passiv sein. Verfolgt eure eigenen Vorstellungen, und
überzeugt die USA davon, dass wir bereit sind."

Zu den enttäuschten Hoffnungen des Damaszener Frühlings von 2000,
als Assad Reformen in Aussicht stellte: "Ich habe nach meinem
Amtsantritt die Reformen zügig in Angriff genommen - ich war in Eile.
Wenn es dabei zu Fehlern gekommen ist, versuchten manche, diese für
ihre Zwecke zu nutzen. Das Resultat sind politische Konflikte. Das
Problem sind nicht die so genannten "Alten Garden", wie manche
Journalisten meinten. Einige Vertreter dieser "Alten Garden"
verlangen heute sogar mehr Offenheit. Es ist vielmehr so, dass Leute
außerhalb der Regierung verschiedene Ziele verfolgen. Das ist völlig
normal. Also bin ich im bestmöglichen Tempo unterwegs." Im Gespräch
verspricht Assad: "Aber ich versichere Ihnen, 2005 wird das Jahr der
politischen Reformen."

Auf die Menschenrechtssituation angesprochen, meint er abwehrend:
"Die Achtung der Menschenrechte ist eine interne Angelegenheit. Der
Menschenrechtsdialog ist zwischen mir und dem syrischen Volk zu
führen und nicht zwischen mir und Amnesty International."

Assad äußert sich zum Thema des Besitzes von
Massenvernichtungswaffen: "Es gibt im Sicherheitsrat eine Resolution,
um die gesamte Region abzurüsten. Wenn die Europäer diese Forderung
ernst nehmen, sollten sie diesen Entwurf im Sicherheitsrat
unterstützen. Wir sprechen seit Jahrzehnten über
eine Massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten."

Auf den Golan angesprochen, von dem Teile nach wie vor von Israel
besetzt sind, meint Assad: "Wir sind offen für Verhandlungen mit
Israel. Die Überlegung der Konferenz von Madrid 1991: Land für
Frieden. Wir waren dem Ziel schon recht nahe, aber den Israelis und
den Amerikanern fehlt der Wille."

Assad äußert sich auch zum verschobenen Staatsbesuch in
Österreich: Bereits 2003 habe er seinen geplanten Besuch in
Österreich wegen des damals drohenden Irak-Kriegs absagen müssen,
"dieses Mal war der Zeitpunkt ebenfalls nicht günstig. Uns wurde
vorgeworfen, wir würden die Resolution 1559 nicht implementieren. Wir
werden aber zeigen, dass wir den Syrien betreffenden Teil der
Resolution vollinhaltlich erfüllen werden. Dann werden wir sagen:
Okay, wir haben 1559 erfüllt, gibt es sonst noch irgendwelche
Probleme?"

OTS0152    2005-03-30/12:49

OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | NES

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