DER STANDARD-Kommentar, Ausgabe vom 3. März 2005: "Es gilt das gebrochene Wort" von Michael Moravec
"Der Finanzminister gleitet immer mehr in ein obskures Paralleluniversum ab"
Wien (OTS) - Der gute Tag begann diesmal nicht mit einem sanierten Budget. Sondern mit Sir Karl Popper: "Wir sind jetzt verantwortlich für das, was in der Zukunft geschieht", wählte Finanzminister Karl-Heinz Grasser als Motto für seine Budgetrede. Vorsichtshalber, da ausschließlich das gesprochene Wort galt, nur in den schriftlichen Unterlagen.
Man weiß ja nie.
Was Grasser da als in Zahlen gegossene Regierungserklärung für 2006 im Parlament vorstellte, war eine Mischung aus völliger Oberflächlichkeit, Desinteresse und unerträglichem Eigenlob. Dabei ist er und mit ihm die gesamte Regierung an den selbst gesteckten Zielen unbestreitbar gescheitert. Drei Säulen der wirtschaftspolitischen Strategie der Regierung stellte Grasser gestern erneut vor:
1.) Ein ausgeglichener Staatshaushalt über den Konjunkturzyklus. Egal, wie kunstvoll und realitätsfern der Konjunkturzyklus auch definiert wird, es gibt von 2000 bis 2007 nur ein einziges Jahr mit Nulldefizit: 2001 mit einem Plus von 0,2 Prozent, erzielt durch Einmaleffekte und nicht durch eine "Budgetsanierung". In den Jahren 2002 bis 2007 ergibt sich nach Schätzung des Finanzministeriums ein Minus von zusammen 7,3 Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung (BIP) oder rund 17 Milliarden Euro. Um also von 2001 bis 2008 wie versprochen ein "Nulldefizit über den Konjunkturzyklus" zu schaffen, müsste 2008 eben ein Plus von 7,1 Prozent des BIP herausschauen. Ziel klar verfehlt.
2.) Eine nachhaltige substanzielle Senkung der Steuern und Abgaben. Die "größte Steuerreform aller Zeiten" gibt den Österreichern nicht einmal das ganz zurück, was sich der Staat durch Gebührenerhöhungen und die kalte Progression seit Regierungsantritt im Jahr 2000 geholt hat. Die Senkung der Abgabenquote resultiert aus der niedrigen Körperschaftssteuer, von der hauptsächlich Unternehmen mit hohen Gewinnen und Konzerne mit defizitären Auslandstöchtern profitieren.
Und schließlich kommt noch:
3.) Mehr Wachstum durch Investitionen in die Bildung, Forschung und Infrastruktur: Wie schaurig es finanziell an den Universitäten, den Forschungsinstituten (manche drohen mit dem Zusperren) und im Bildungsbereich (Pisa!) aussieht, ist bekannt.
Das Paralleluniversum, in dem sich Karl-Heinz Grasser trotz dieser Fakten loben
kann ("Zuerst haben wir die Staatsfinanzen in Ordnung gebracht, das Nulldefizit geschafft und den Spielraum für unsere Steuersenkungen erarbeitet"), muss wohl eine seltsame Welt sein, voll Verzerrungen und Trugbildern.
Das wird wohl auch der Grund dafür sein, dass es Grasser bisher kaum gelungen ist, die Realität des Budgetvollzuges an die höhere Ordnung seiner Budgetreden und Prognosen anzugleichen.
Das Nulldefizit "passierte eher zufällig 2001, als noch ein Minus vorgesehen war. Dafür gab es 2002, im Jahr des ersten geplanten Nulldefizits, wieder ein Minus. 2004 war ein Abgang von 0,7 Prozent geplant, leider wurde es mit 1,4 Prozent doppelt so hoch, und zu allem Unglück "verlor" Grasser auch noch eine Milliarde an Umsatzsteuereinnahmen, ohne dies erklären zu können.
In diesem Lichte scheint die Budgetrede 2006 für die Realität auch ziemlich irrelevant, denn es wird sicher wieder von "unvorhersehbaren Problemen" nur so wimmeln.
Interessanter ist die Frage, wie es ein Bundeskanzler, eine Regierung mit Selbstverständnis, Verantwortung und Wahrheitsliebe hält, wenn so eine Budgetrede aus einer zurechtgezimmerten Scheinwelt und mit nicht mehr aktuellen Konjunkturdaten dem Land als Essenz der Regierungsarbeit präsentiert wird.
Man kann das durchaus als Verachtung empfinden.
Der versprochene Gestaltungswille (Österreich neu regieren!) ist auf den Ausbau der eigenen Macht begrenzt. Die Visionen (die "Politik der Wende") beschränken sich
lediglich auf den nächsten Wahlsieg und den Machterhalt. Und es gilt nicht mehr das gesprochene Wort.
Sondern das gebrochene.
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