• 29.12.2003, 17:56:28
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"Tiroler Tageszeitung" - Kommentar: "Stillstand in Belgrad" (Von Floo Weissmann)

Ausgabe vom 30. Dezember 2003

Innsbruck (OTS) - Das politische Trauerspiel in Serbien geht in
die Verlängerung. Die Chancen der Nationalisten auf eine Rückkehr an
die Macht sind gestiegen. Die Folgen davon tragen nicht allein die
Serben, sondern der gesamte Balkan und mit ihm Europa. Soweit die
bittere, aber nicht überraschende Bilanz der Wahlen.
Die neue politische Elite in Belgrad hat die Quittung für Eitelkeit,
Intrigen, Misswirtschaft, Skandale, Unvermögen und Unterlassungen
erhalten. Viele Serben sind verarmt und von der Wende enttäuscht. Das
macht sie empfänglich für die Parolen der Nationalisten.
Ironischerweise versprechen gerade jene die Erlösung, deren Politik
seit den achtziger Jahren das Land in den Sumpf gestoßen hat, in dem
es jetzt strampelt.
Die Wahl zeigt auch, dass es in Belgrad kaum Ansätze zur
Vergangenheitsbewältigung gibt. Die Kriege und Verbrechen des
Milosevic-Regimes werden ausgeblendet, ebenso das Unheil, das der
großserbische Wahn über die Region gebracht hat. Alte Kader sitzen
nach wie vor in wichtigen Positionen. Die Verflechtungen von Politik,
Wirtschaft, Militär und Mafia, die Milosevic hinterlassen hat,
widersetzen sich jeder Reform.
Alle nicht-radikalen Kräfte, deren Streit schon bisher das Land
gelähmt hat, sind erneut zum Zusammenspiel verurteilt. Der Ball liegt
ausgerechnet bei Kostunica, einem (gemäßigten) Nationalisten, der
sich gegen das UNO-Tribunal sperrt und aus Populismus und Sturheit
wichtige Reformen blockiert hat. Schon hoffen die Radikalen mit
gewisser Berechtigung auf baldige Neuwahlen, bei denen ihnen der
Durchbruch gelingen könnte.
Die Aussichten in Belgrad und darüber hinaus sind nicht rosig.
Serbien liegt von Wien gleich weit entfernt wie Tirol, und es birgt
den Schlüssel zu Stabilität und Aufschwung am Balkan. Für Europa geht
es darum, ob sein Südosten nach langem Elend endlich Anschluss
findet, oder ob die Krise sich vertieft und ausstrahlt. Wenn in
Belgrad die Nationalisten ans Steuer kommen, muss sich auch die EU
festschnallen.

Rückfragehinweis:
Tiroler Tageszeitung, Chefredaktion - Tel.: 05 04 03/ DW 601

OTS0129    2003-12-29/17:56

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