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PRÖLL: NEUER LEBENSMITTELBERICHT IST WICHTIGER ORIENTIERUNGPUNKT

Lebensmittelsektor wird von Dynamik der Märkte und des Konsumverhaltens geprägt

Köln (OTS) Die österreichische Lebensmittelwirtschaft steht in einem dynamischen Prozess der Neuorientierung. Seit dem EU-Beitritt ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Die Bilanz der letzten Jahre zeigt eine hohe Leistungs- und Anpassungsfähigkeit an neue Rahmenbedingungen, Dynamik und Innovationskraft, aber auch die Kraft, mit negativen Entwicklungen fertig zu werden. Der neue und damit zweite österreichische Lebensmittelbericht über die Jahre 1995 bis 2002 ist allerdings nicht nur eine Rückschau, er zeigt insbesondere auch Trends auf und ist als Leitfaden und Katalysator für die Lebensmittelbranche bei der weiteren Entwicklung gedacht. Dies erklärte Landwirtschaftsminister Josef Pröll bei der Präsentation des 2. Österreichischen Lebensmittelberichts gemeinsam mit der Ernährungswissenschafterin Hanni Rützler im Rahmen der Lebensmittelmesse ANUGA in Köln.

Die weitgehende Inlandsorientierung vor dem EU-Beitritt ist einer aktiven Präsenz auf den europäischen Märkten gewichen. Die österreichische Lebensmittelwirtschaft hat sich auf den Heimmärkten behauptet und auf den europäischen Märkten gut Fuß fassen können. Während der Lebensmittelaußenhandel bis zum EU-Beitritt durch ein stetig steigendes Handelsdefizit gekennzeichnet war, hat sich der Importüberhang seither mehr als halbiert. Österreichische Produkte erlösen im Ausland deutlich mehr, wir haben das Image als "billiger Jakob" in Europa verloren. Wir exportieren statt Rohstoffen deutlich mehr verarbeitete Waren mit höherer Wertschöpfung, führte Pröll weiter aus.

Diese neue Leistungsfähigkeit im Export muss in den nächsten Monaten und Jahren auch beim Export in die neuen EU-Mitgliedsländer zum Tragen kommen. Wir haben in den letzten Jahren die Instrumente für erfolgreiche Exportstrategien geschaffen, die Unternehmen haben Know how und Selbstvertrauen aufgebaut. Bei der ersten Station für die "Exportinitiative 1-24" Anfang Oktober in Budapest war das Interesse sowohl der rund 50 österreichischen Unternehmen als Teilnehmer der Wirtschaftsdelegation als auch auf Seiten der mehr als 100 ungarischen Einkäufer riesig. Am 28. und 29. Oktober steht in Prag die zweite Station der Tour durch die neuen Mitgliedsländer auf dem Programm.

Die enge Zusammenarbeit von Landwirtschaft, Produktionssektor und Lebensmittelhandel sowie der Interessensorganisationen zeigt, dass auch hier ein Paradigmenwechsel eingetreten ist. Die Zusammenarbeit bringt Erfolg. Und sie öffnet den Weg für noch bessere Zusammenarbeit. "Die von mir und Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat gegründete ‚Plattform Ernährung‘, in der alle Stakeholder des Lebensmittelsektor eingebunden sind, wird weiter ausgebaut werden", betonte der Minister.

LANDWIRTSCHAFT: ENTWICKLUNG ZU SOLIDEN MITTELBETRIEBEN

Der Lebensmittelbericht liefert von der landwirtschaftlichen Produktion bis zum Konsumverhalten klare Befunde und zeigt interessante Entwicklungen und Trends auf. In der Landwirtschaft ist das etwa eine deutliche Entwicklung weg von Kleinstbetrieben hin zu soliden Mittelbetrieben, wobei die österreichische Landwirtschaft im EU-Vergleich noch immer kleinteilig strukturiert ist. Die Abwanderung an Arbeitskräften konnte gegenüber der ersten Hälfte der 90er Jahre gebremst werden. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche blieb stabil, das Ziel der flächendeckenden Bewirtschaftung und damit auch die Erhaltung der Kulturlandschaft in benachteiligten Gebieten wurde erreicht.

Im europäischen Vergleich ist die österreichische Landwirtschaft auch jung. Nur 29 % der Betriebsinhaber sind 55 Jahre und älter, bei den Betriebsinhabern unter 35 Jahren schneidet Österreich überhaupt am besten ab. Österreich hat auch mit 30 % weiblicher Betriebsführer den höchsten Anteil an Frauen im EU-Vergleich. Das alles ist ein Potenzial, das hohe Innovationsbereitschaft bedeutet, die in Wettbewerbsfähigkeit umgemünzt werden kann. "Hier setzt auch meine Initiative ‚Bildung zum Erfolg‘ an. Wir müssen die Betriebe motivieren, in die Weiterbildung zu investieren, das ist ein wichtiges Erfolgsmoment in den nächsten Jahren", unterstrich der Minister.

Strategisches Ziel ist es jedenfalls, in der ökologischen Orientierung der Produktion, insbesondere bei Biobetrieben in Europa die Nase vorne zu halten. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der EU-Erweiterung ein ehrgeiziges Vorhaben. Die Zahl der Biobauern wächst zwar wieder kräftig (heuer plus 1.200), die Zunahme der Ackerfläche übertrifft mit 25.000 Hektar auf 117.000 Hektar das erst für 2006 geplante Ziel von 115.000 Hektar. Dennoch ist das hohe Biopotenzial der neuen Mitgliedsländer zu sehen, das in den nächsten Jahren vor allem zu erhöhten Exporten in die alten Mitgliedsländer führen wird. Auf diese Entwicklung sollte sich Österreich mit seinen Vermarktungs- und Verarbeitungsstrukturen einstellen.

LEBENSMITTELVERARBEITUNG: WEITERER AUSBAU DER EXPORTMÄRKTE

Die Lebensmittelverarbeitung hat schwierige Jahre hinter sich und steckt noch mitten in Umstrukturierungsprozessen. Die Zahl der Unternehmen sank um mehr als 7 %, die der Beschäftigten um über 8 %, die Umsätze gingen um rund 4 % zurück. Der Preis- und Mengendruck seit dem EU-Beitritt hat allerdings ganz wesentlich zu den Exporterfolgen beigetragen. Und auch in Zukunft ist klar, dass der österreichische Markt zwar solide Basis ist, eine wesentliche Aufgabe aber im weiteren Ausbau von Expotmärkten besteht. Die EU-Erweiterung ist daher für die klein- und mittelständige Lebensmittelverarbeitung ein wichtiges neues Standbein, der Fachverband der "Nahrungs- und Genussmittelindustrie" sieht die Zukunft "verhalten optimistisch".

TREND ZU GROSSEN VERKAUFSFLÄCHEN UNGEBROCHEN

Der österreichische Lebensmitteleinzelhandel ist von einer Fortsetzung des Trends zu großen Einheiten geprägt. Die Konzentration ist im EU-Vergleich überdurchschnittlich hoch, die Konzentrationsrate der drei größten Marktteilnehmer liegt bei 72 %, der EU-Schnitt bei 61 %. Die Flächenexpansion führt für Konsumenten mitunter zu interessanten Ergebnissen. Jedem Österreicher stehen durchschnittlich 20 % mehr Verkaufsfläche zur Verfügung als in den meisten westeuropäischen Ländern.

Im Gegenzug dazu gab es einen Trend zur bäuerlichen Direktvermarktung. Die Konsumenten sehen darin ein wichtiges Element für die positive Bewertung der Landwirtschaft, sagte Pröll. Die Zahl der bäuerlichen Vermarktungsinitiativen ist von 1996 auf 2002 von 171 auf 263 gestiegen. Im Trend liegt eine deutliche Zunahme der Vermarktungsnähe zu den Endverbrauchern, gefolgt von Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung. Eine deutliche Schwerpunktbildung liegt bei der Vermarktung von Bioprodukten.

Eindeutiger Verlierer der Umstrukturierung sind kleine Lebensmittelgeschäfte. Geschäfte mit wendiger als 250 m2 Verkaufsfläche nahmen von 1990 auf 2000 von 7123 auf 3.231 ab. Der Umsatzanteil sank von 27,6 5 auf 13,1 %, während der von Supermärkten zwischen 400 und 1000 m2 von 29,1 auf 43,0 5 hinaufschnellte. Diese Zahlen spiegeln sich im Einkaufsverhalten der Konsumenten wider. Der Facheinzelhandel ist der große Verlierer:
Zwischen 1996 und 2002 sank der Anteil der Konsumenten, die üblicherweise im Fach-/Einzelhandel einkaufte, bei Fleisch- und Wurstwaren von 56 auf 38 %, bei Geflügel von 34 auf 24 %, bei frischen Obst von 24 auf 12 %, bei Milch, Joghurt und Butter von 25 auf 13 %, bei Brot und Gebäck von 75 auf 63 %.

Das ist ein klarer Befund und für die Zukunft wird erwartet, dass der Trend zu großen Verkaufsflächen anhält. Die Verlierer werden dann aber bereits die Supermärkte unter 1.000 m2 Verkaufsfläche sein. Diese Entwicklung ist problembehaftet, insbesondere für die Nahversorgung und die Vielfalt in der Lebensmittelverarbeitung. Steigender Preisdruck durch die Handelsketten und der Trend zu großen Produktionseinheiten wird einen weiteren Strukturwandel bedingen. Neue Dienstleistungen, etwa im Bereich der Handelsgastronomie, könnten ebenso lukrativ sein wie die Spezialisierung des Angebots. Bei bio waren beispielsweise in den vergangenen Jahren teilweise interessante Umsatzzuwächse erzielbar. Für die Konsumenten könnte interessant sein, dass der Wettbewerb im Einzelhandel eine verstärkten Kundenorientierung erwarten lässt, zitierte Pröll den Lebensmittelbericht.

ZUKUNFTSFAKTOR GEÄNDERTE EINSTELLUNGEN DER KONSUMENTEN

In diesem Umfeld sind Trends im Konsum für den gesamten Lebensmittelsektor von besonderer Bedeutung. Geänderte Qualitätsvorstellungen wie Fragen der Herkunft, der Tierhaltung, der besonderen Produktionsmethoden wie bio oder gentechnikfrei sind Chancen für die österreichischen Produktionsbetriebe.

Die Lebensmittelsicherheit ist in den letzten Jahren ein ebenso dominantes Thema geworden. Die Gründung der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörte sowie der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit waren eine Reaktion auf die starke Verunsicherung der Konsumenten. Ebenso Bedeutung erlangten glaubhafte Qualitäts- und Zertifizierungssysteme, die dem Konsumenten Sicherheit geben. Die Lebensmittelkennzeichnung ist dabei ein auf europäischer Ebene nicht abgeschlossener Prozess, betonte Pröll.

FEINKOSTLADEN-PHILOSOPHIE WEITERENTWICKELN

Insbesondere in sensiblen Bereichen wie Fleisch will der Konsument zunehmend eine Auswahl zwischen verschiedenen Qualitätsstufen, die für ihn aber nachvollziehbar sein müssen. Auf diese Herausforderung hat die österreichische Politik mit dem Modell der österreichischen Lebensmittelpyramide reagiert. Der Konsument soll im Regal zwischen unterschiedlichen Qualitätsstufen wählen können. Auf der unteren Ebene steht die gesetzlich abgesicherte Qualität zur Auswahl. Darüber muss die kontrollierte Gütesiegel-Qualität für ein differenziertes Angebot sorgen. Und an der Spitze der Pyramide steht die Bioqualität.

Das ist die erneuerte Feinkostladen-Philosophie Österreichs, die in den nächsten Jahren konsequent weiter zu verfolgen ist. Basis dafür ist ein umfassendes Bekenntnis zur Lebensmittelsicherheit auf allen Qualitätsstufen. Weiters muss sich die Lebensmittelqualität an den neuen Qualitätsvorstellungen der Konsumenten orientieren. Die Herkunft von Produkten muss durch entsprechende Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitssysteme nachvollziehbar sein. Dies war insbesondere nach der BSE-Krise im Rinderbereich EU-weit notwendig, dies ist aber insbesondere auch im Bereich der Gentechnik ein wichtiges Prinzip, das erst kürzlich auf EU-Ebene verwirklicht wurde. Und letztlich geht es um die Absicherung der Vielfalt der Produkte in der landwirtschaftlichen Produktion wie auch in der Weiterverarbeitung.

Der österreichische Lebensmittelsektor hat sich in den letzten Jahren grundsätzlich erfolgreich weiter entwickelt. Der Lebensmittelbericht gibt wichtige Hinweise, wo neue Potenziale vorhanden sind und in welche Richtung die Konsumenten weitere Veränderungen und Entwicklungen erwarten. Es ist Aufgabe des gesamten Sektors, gemeinsam diese Veränderungen und Neupositionierungen aktiv in Angriff zu nehmen. Die Ernährungsplattform kann dazu eine geeignete Bühne sein, sagte Pröll abschließend.

(Schluss)

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