- 24.07.2003, 11:56:54
- /
- OTS0122 OTW0122
VAN STAA: RECHT AUF GESUNDHEIT RANGIERT VOR FREIEM WARENVERKEHR Erklärung des Tiroler Landeshauptmanns vor der Länderkammer
Wien (PK) - In der Transitfrage und im Zusammenhang mit den
jüngsten Äußerungen aus Brüssel erklärte heute der Tiroler
Landeshauptmann Herwig van Staa vor dem Bundesrat, er nehme für
sich und die Tiroler Landesregierung in Anspruch, "dass wir uns,
mit Unterstützung des Tiroler Landtags, dagegen zur Wehr setzen,
und zwar mit aller Entschlossenheit." Das Recht auf Gesundheit
sei ein Menschenrecht und habe damit vor dem Recht auf freien
Warenverkehr zu rangieren, betonte der Tiroler Landeshauptmann.
Notwendige Maßnahmen, die für das Wohlergehen und die Gesundheit
der Bevölkerung unverzichtbar sind, könnten kein Tauschobjekt im
Prozess der politischen Kompromissfindung sein. Van Staa verwies
darauf, dass an die 500.000 Lkw-Züge als Umwegtransit ihren Weg
über Tirol nehmen; 1.200 Ärzte hätten erklärt, dass eine
Gesundheitsgefährdung vorliege. Er würde erwarten, dass die
Europäische Kommission sich diese Unterlagen zumindest ansehe.
Man habe aber die Unterlagen, ohne ein gerechtes Verfahren
durchzuführen, an den EuGH gesandt.
"Zutiefst erschüttert" habe ihn die Erklärung der
Pressesprecherin des Präsidenten des EuGH, man wolle in einer
Sondersitzung noch vor dem 1. August eine einstweilige Verfügung
erlassen und die Tiroler Verordnung aufheben. "Das ist ein Hohn
gegenüber jeder demokratischen Rechtsordnung, gegenüber einem
rechtsstaatlichen Verfahren und das kann nicht zugelassen
werden", sagte van Staa. Der Landeshauptmann erinnerte in diesem
Zusammenhang an die Sanktionen der EU-14 gegen Österreich, deren
Folgen sie "heute noch ausbaden" müssten und verwies auf eine
Reihe von Klagen Österreichs beim EuGH wegen Nichteinhaltung der
Obergrenzen der Lkw-Fahrten durch Tirol, die bis jetzt nicht
behandelt wurden.
Es gebe einen Anspruch auf ein faires Verfahren vor den
europäischen Institutionen und insbesondere vor dem EuGH. "Wir
werden das einfordern", betonte der Tiroler Landeshauptmann, "wir
werden uns auch nicht scheuen, bei einer negativen Entscheidung
andere Maßnahmen zu ergreifen." Würde die Tiroler Verordnung
aufgehoben, würde in Tirol eine neue Verordnung erlassen - etwa
hinsichtlich Organisation von Blockabfertigungen -, wobei man
sich streng an die rechtlichen Vorgaben halten werde.
An den Bundesrat richtete Van Staa die Bitte um Solidarität in
der Transitfrage. Diese Problematik belaste auch Oberösterreich,
Salzburg und Vorarlberg in besonderer Weise; er habe auch großes
Verständnis für die Position der Bundesländer Wien,
Niederösterreich und das Burgenland, auf die mit der Ostöffnung
große Veränderungen in der Verkehrssituation zukämen. Tirol habe,
als tourismus-intensivstes Land Europas, ein Anrecht auf eine
intakte Umwelt.
Im ersten Teil seiner Rede setzte sich Van Staa mit der Rolle der
Bundesländer aus der Sicht Tirols im Zusammenhang mit dem
Österreich-Konvent auseinander. Nach einem kurzen Ausflug in die
Geschichte - von der Würdigung Tirols, der ersten
Festlandsdemokratie Europas, durch die Habsburger bis zur
"Unrechtsgrenze" nach dem 1. Weltkrieg - kam van Staa auf
"Österreich als kooperativen Bundesstaat" zu sprechen. Dazu
gehörte der Föderalismus als besondere Ausprägung des
Subsidiaritätsprinzips; die Subsidiarität dürfe aber nicht bei
den Ländern aufhören, sondern müsse bis zu den Gemeinden reichen.
Subsidiarität sei auch in den Verträgen von Maastricht und von
Amsterdam festgeschrieben worden. Dort habe es aber ein
Missverständnis gegeben: Manche hätten damals mit Subsidiarität
die Wiedergewinnung nationaler Rechte gemeint, wie man das
derzeit in Spanien und Frankreich erlebe. Der österreichische
Föderalismus hingegen könne für eine europäische Entwicklung
Beispiel und Vorbild sein. Subsidiarität sei ein Garant für
Bürgernähe, betonte van Staa.
Kritisch äußerte sich der Landeshauptmann zu der Tatsache, dass
die österreichischen Bundesländer beim EuGH kein Klagerecht
haben. Ein solcher Zugang könnte aber über den Bundesrat
geschaffen werden, sagte van Staa unter dem Applaus des
Bundesrats.
Er könne sich auch vorstellen, dass Fragen des Finanzausgleichs
im Bundesrat originär die Zuständigkeit erhielten. Die
Landeshauptleute sollten Mitglieder des Bundesrats, mit einer
Verpflichtung zur Teilnahme an Sitzungen, sein - "bitte aber ohne
Zusatzgage", wie van Staa hinzufügte. Damit wäre die
Landeshauptleutekonferenz auch verfassungsmäßig integriert.
Im Zusammenhang mit den Staatsfinanzen kam der Landeshauptmann
dann auf weitere Reformen zu sprechen: Pensionsreform und
Gesundheitsreform seien in Österreich unverzichtbar, und zwar im
Sinn von "Flur- und Kompetenzbereinigungen". Die Wahrheit sei den
Menschen immer und überall zumutbar; man dürfe aber der
Bevölkerung nicht mehr zumuten, als man sich selbst als Politiker
zumute.
Österreich brauche eine funktionierende Wirtschaft, damit die
sozialen Standards aufrecht erhalten werden könnten. Diese
Sozialstandards seien nicht nur für Österreich, sondern auch für
Europa wichtig, und Österreich sei in diesem Punkt Vorbild für
viele Länder Europas gewesen. Zu den dafür notwendigen Reformen
gehöre die Harmonisierung der Pensionssysteme. Österreich sollte
sich an der Deutschen Bundesrepublik ein Beispiel nehmen, sagte
van Staa im Blick auf die Gesundheitsreform der rot-grünen
Regierung in Berlin.
Man dürfe mit Reformen nicht immer so lange warten, bis es keine
Alternative mehr dazu gebe, sondern müsse sie so rechtzeitig
machen, dass man die Gestaltungsspielräume noch nutzen könne,
sagte van Staa vor dem Bundesrat weiter. Wirtschaft und soziale
Sicherheit seien untrennbar miteinander verbunden. "Wir brauchen
einen Grundkonsens in einigen wichtigen Fragen, die
Lebensgrundlage unseres Volkes sind", sagte van Staa mit Blick
auf den Österreich-Konvent. Er regte an, im Föderalismusinstitut
in Innsbruck eine internationale Sektion für den Regionalismus
und den Gedanken der Subsidiarität in Europa einzurichten.
(Schluss Van Staa/Forts. BR)
Eine Aussendung der Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272, Fax. +43 1 40110/2640
e-Mail: pk@parlament.gv.at, Internet: http://www.parlament.gv.at
OTS0122 2003-07-24/11:56
OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | NPA






