"Kleine Zeitung" Kommentar: "Vom Mut der Mutlosen" (von Erwin Zankel)
Ausgabe vom 09.03.2003
Graz (OTS) - Natürlich hatte Alfred Gusenbauer Recht, als er in
der Debatte über die Regierungserklärung Wolfgang Schüssel "Mutlosigkeit" vorwarf. Die Gegenfrage brauchte er allerdings nicht zu beantworten, weil es formal nicht die Aufgabe der Kritiker ist, die Alternative zur Regierung vorzustellen: Wo bleibt der Mut der Opposition?
Um die Alternativen geht es hier nicht, sondern um das Ausmaß des Mutes: Wie mutig ist es denn, wenn der Oppositionsführer dem Bundeskanzler vorwirft, er scheue sich sogar, die sofortige Umsetzung eines einheitlichen Pensionssystems für alle Österreicher, die 35 Jahre alt sind, zu verkünden?
In der Zielsetzung wird dem SPÖ-Obmann niemand widersprechen. Auch wenn er stillschweigend davon ausgeht, dass etwa die Beamten die Änderung schlucken würden, ohne zuvor auf eine Korrektur ihre Lebenserwerbskurve zu drängen. Wessen Pension sich am Gehalt der letzten Dienstjahre bemisst, wird nicht kampflos zustimmen, dass der Durchrechnungszeitraum die gesamte Dienstzeit umfasst.
Über diese Hürden turnen sich die Politiker hurtig hinweg. Wer macht sich schon Sorgen über Wähler, die erst in 30 Jahren von einer Maßnahme betroffen sind? So einfach ist es eben nicht, ein gewachsenes System zu verändern. Vor allem helfen die Ankündigungen wenig, für die nachrückenden Generationen die Bedingungen ändern zu wollen, wenn man schon in den nächsten Jahre in den finanziellen Engpass gerät.
Konkret: Jetzt müssen Einschnitte vorgenommen werden, weil sonst die bereits zugesagten Pensionen nicht bezahlt werden können. Wer so tut, als wären davon erst die jetzt 35-Jährigen betroffen, streut den Wählern Sand in die Augen.
Beides ist unvermeidlich: sowohl eine Verschlechterung der anstehenden als auch der künftigen Pensionen. Sonst ist das System der Pensionsversicherung nicht zu sichern. Diese Eindeutigkeit der Analyse ist von allen einzufordern.
Natürlich gilt dies primär für die Regierung. Wer behauptet, eine Reform für alle Ewigkeit zu verwirklichen, lügt. Gerade am Beispiel der Altersversorgung zeigt sich, dass wegen der sich ständig verändernden Voraussetzungen immer Anpassungen notwendig sind. Sie sind nur in kleinen Schritten möglich, weshalb die Idee, einen großen Wurf zu wagen, eine Illusion bleiben muss.
Ob das in der Tagespolitik auch sichtbar wird, ist ein anderes Kapitel. Wenn es der Regierung nicht gelingt, den Mut deutlich zu machen, wird sie von der Opposition der Mutlosigkeit bezichtigt werden. ****
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