• 05.09.2002, 15:11:33
  • /
  • OTS0189 OTW0189

Gemeinsame Erklärung von Bundespräsident Klestil und Präsident Havel

PRESSEERKLÄRUNG
DES BUNDESPRÄSIDENTEN DER REPUBLIK ÖSTERREICH
THOMAS KLESTIL
UND DES PRÄSIDENTEN DER TSCHECHISCHEN REPUBLIK
VACLAV HAVEL

Jahrhunderte enger historischer Beziehungen und ein gemeinsames
zentraleuropäisches Erbe verbinden Österreicher und Tschechen nicht
nur als Nachbarn, sondern auch als künftige Partner in einer größeren
Europäischen Union. Die zunehmende Dichte menschlicher,
wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen und die Zusammenarbeit
zwischen Städten und Gemeinden auf beiden Seiten der Grenze führen zu
einem immer engeren Miteinander beider Länder und Völker.

Die Stadt Znaim, in der wir heute zusammengekommen sind, erinnert uns
an eine Reihe anderer Orte, die bei dem jüngsten Hochwasser enorme
Schäden erlitten haben. Diese Naturkatastrophe, die unsere beiden
Länder heimgesucht hat, zeigt erneut, wie eng die Schicksale
Österreichs und Tschechiens miteinander verwoben sind. Mit tiefer
Betroffenheit mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die
Überschwemmungen Menschenleben gefordert und die wirtschaftliche
Existenz von so vielen Bürgerinnen und Bürgern unserer Länder bedroht
oder vernichtet haben. Gerade in dieser schwierigen Zeit hat sich die
gegenseitige Solidarität und Hilfe über die Staatsgrenzen hinweg
bewährt.

Die heute vom Landeshauptmann von Niederösterreich und den
Hauptleuten der Kreise Südmähren, Südböhmen und Vysocina
unterzeichnete Vereinbarung über bilaterale regionale Kooperation ist
ein weiteres sichtbares Zeichen des Näherrückens der Menschen auf
beiden Seiten der Grenze. Von dieser konkreten, in beiderseitigem
Interesse liegenden österreichisch-tschechischen Zusammenarbeit
werden neuerliche wertvolle Impulse nicht nur für die Entwicklung der
grenznahen Gebiete, sondern generell für die Intensivierung der
bilateralen Beziehungen ausgehen.

Ein vertrauensvoller Dialog zwischen unseren beiden Ländern ist
gerade in jenen Bereichen unverzichtbar, in denen unterschiedliche
Auffassungen bestehen, wie hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie.
Dies bezeugt der vor zwei Jahren in Melk begonnene Prozess, der durch
das Brüsseler Übereinkommen betreffend die Sicherheit des
Kernkraftwerks Temelin eine weitere Grundlage erhalten hat.

Im Geiste guter Nachbarschaft und dem gemeinsamen Bekenntnis zu den
Werten der Demokratie, der Menschenrechte und Grundfreiheiten soll
auch unsere heutige Begegnung zu einer dauerhaften Partnerschaft und
Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern und ihren Bürgerinnen
und Bürgern beitragen. Diese Partnerschaft ist im künftigen, größeren
Europa auch für die wirkungsvolle Unterstützung gemeinsamer Anliegen
und Interessen entscheidend.

Österreich tritt nachdrücklich für den Beitritt der Tschechischen
Republik zur Europäischen Union ein. Die bevorstehende Erweiterung
der Europäischen Union ist für den Bau des gemeinsamen Europas als
einer Region des Friedens, der Sicherheit, des Rechts und des
Wohlstandes von grundlegender Bedeutung. Für das Gelingen der
europäischen Einigung ist auch eine engagierte und selbstbewusste
Zivilgesellschaft unverzichtbar.

Die auf unsere gemeinsame Initiative zurückgehenden jährlichen
Treffen zentraleuropäischer Präsidenten waren von Anfang an auf die
Überwindung der Teilung Europas und die Stärkung des Bewusstseins des
gemeinsamen geistigen und kulturellen Erbes ausgerichtet.

In diesem Sinne setzen wir uns auch für die weitere Vertiefung des
europäischen Einigungswerks und für eine Europäische Union ein, in
der Demokratie, Transparenz und Bürgernähe im Mittelpunkt stehen und
die auch ihre Werte in der Welt wirkungsvoll vertritt.

Die Geschichte unserer beiden Länder ist reich an großen Leistungen,
auf die wir zurecht stolz sein können und die unsere nationalen
Identitäten wesentlich geprägt haben. Umso wichtiger ist es auch,
dass wir uns den dunklen Seiten der Geschichte stellen, eine
kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit nicht
scheuen und klare Worte dazu finden. Nichts zu verbergen ist im Sinne
unserer guten Zukunft.

Moralische Verantwortung für das in der Vergangenheit so vielen
Menschen zugefügte schwere Leid und Unrecht muss anerkannt werden.
Wir begrüßen es, dass nunmehr über diese Fragen und ihre rechtlichen
Aspekte ein offener Dialog auf mehreren Ebenen und in verschiedenen
Foren geführt wird und sind zuversichtlich, dass uns dieser Dialog
einer gemeinsamen Bewertung näher bringen wird und dass er
fortgesetzt wird.

Tschechen und Österreicher sind aufgerufen, die verhängnisvollen
Ereignisse in ihrer Vergangenheit aufzuarbeiten und im Geiste
gelebter Nachbarschaft ein neues Kapitel des Vertrauens, der
Freundschaft und des Miteinander im gemeinsamen Europa aufzuschlagen.

Znaim, den 5. September 2002

Rückfragehinweis: Österreichische Präsidentschaftskanzlei
Presse und Informationsdienst
Tel.: (++43-1) 53422 230

OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | BPK

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel