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Der kämmerliche Klassenkampf

WirtschaftsBlatt-Kommentar von Gerald Stefan

Wien (OTS) - Unerwartete Bündnisse, verblüffende Kehrtwendungen, unklarer Frontverlauf: Die FPÖ? Haider? Falsch. Die Wirtschaftskammer ist es, deren Funktionäre neuerdings mit unerwarteten Aussagen für Aufsehen und Verwirrung sorgen.

Ein Beispiel lieferte Christoph Leitl selbst, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich: Vergangene Woche fiel dem Oberboss am Rande der Tagung "Ethik in der Wirtschaft“ in Alpbach ein, dass die Ost-Erweiterung viele kleine österreichische Firmen und damit rund 400.000 Jobs gefährden könnte, wenn die Wirtschaft nicht vorher steuerlich entlastet werde. Tags darauf zog er die Äusserung auf Grund heftiger Proteste wieder zurück.

In Salzburg wiederum denken die Landes-Kammerfunktionäre angesichts des Weltwirtschaftsforums derzeit laut nach, ob Salzburger Unternehmer mit den Globalisierungsgegnern von "Attac“ nicht mehr gemeinsam haben als mit Manchester-kapitalistischen Superkonzernen, deren Spielwiese die globalen Handelsströme sind und die Klein- und Mittelbetriebe an den Rand drücken. Kämmerer bald gar Brust an Brust mit dem "Schwarzen Block“?

So verwunderlich, so logisch, wenn man genauer hinsieht. Viele Herzen müssen in der Kammer-Brust schlagen. Denn alle Unternehmen sind kraft Gesetz ihre Mitglieder. Es liegt aber ein himmelweiter Unterschied zwischen der allgegenwärtig-ungreifbaren juristischen Person Billa, OMV oder Bank Austria einerseits ... und der handfest-schweisstriefenden, um das höchst persönliche Leiberl rennenden Unternehmerperson eines Installateurs aus Mistelbach anderseits.

Leitl, der selbst aus einer Industriellendynastie stammt, ergreift wohl hin und wieder gern die Gelegenheit, ein Wort für die Kleinen einzulegen. Es dürfte ihm auch ernst damit sein – viel machen kann er aber nicht. Überall dort, wo die Interessen der vielen Pole in seiner Institution scharf aufeinander prallen könnten, ist die Kammer institutionell unfähig, eine einzige Meinung zu haben, geschweige denn Forderungen zu erheben. Sie ringt sich bestenfalls durch zu einem "Lass ma’s halt wie es ist“. Um dieses Phänomen zu beweisen braucht es nicht mal Globalisierung oder Ost-Erweiterung.

Man betrachte den ewigen Streit um die Ladenöffnungszeiten: Billa etwa will immer offen haben, der Fleischhauer am Sonntag frei. Kompromiss? Null! Ein unversöhnlicher Interessenkonflikt. Wie Karl Marx gesagt hätte: Klassenkampf in der Kammer.

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