- 26.06.2002, 17:35:53
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DER STANDARD-Kommentar: "Der Kater nach der Börsenparty: Die Anleger wurden im großen Aktienboom betrogen - und sie betrogen sich selbst" (von Eric Frey) - Erscheinungstag 27.6.2002=
(ots) - Das Leiden, das derzeit die Weltbörsen heimsucht, ist jedem
Partylöwen bekannt: Es ist der unvermeidliche Kater nach der
durchfeierten Nacht. Die Neunzigerjahre waren von einer typischen
spekulativen Blase geprägt, es war wie die niederländische
Tulpenmanie des 17. Jahrhunderts oder der US-Börsenboom vor 1929.
Damals wie heute legen intelligente Menschen jede Vernunft beiseite
und lassen sich von der Aussicht auf rasche, gigantische Gewinne
blenden.
Das Perfide an solchen Blasen ist, dass es gute Gründe für Optimismus
gibt. Tatsächlich wurde im letzten Jahrzehnt technologisches Neuland
vor allem in der Kommunikationsindustrie betreten, haben Computer,
Telekom und Internet zu einer deutlichen Produktionssteigerung in der
gesamten Wirtschaft beigetragen. Die New Economy gibt es wirklich,
sie schlägt sich in Tausenden Fabrikshallen und Büros nieder, wo
rascher und flexibler gearbeitet wird als noch vor wenigen Jahren.
Doch diese Fortschritte führen erst allmählich zu höheren Gewinnen.
So geduldig sind die Börsianer nicht. Sie wollten die Früchte der New
Economy sofort genießen und stellten daher alle Regeln der
Unternehmensbewertung auf den Kopf. Junge Internetfirmen wurden mit
Millionen bewertet, bevor sie überhaupt einen Cent an Umsatz
vorweisen konnten. Solide Wachstumszahlen galten als Enttäuschung,
erst ab 20 Prozent waren die Märkte zufrieden.
In dieser aufgeheizten Atmosphäre wurde Hochstapelei und
Scharlatanerie belohnt und die alten Tugenden des Kaufmannes -
Vorsicht und Ehrlichkeit - mit schwachen Kursen bestraft. Schlimmer
noch: Konzernchefs, die der Bullenshow fernblieben, mussten zusehen,
wie ihre Firmen von den neuen Börsenstars aufgekauft wurden.
Einer von ihnen war Bernie Ebbers, der, ausgestattet mit dem Charme
eines Gebrauchtwagenhändlers, unzählige alternative Telefonbetreiber
aufkaufte und auf Kredit einen Weltkonzern schmiedete. Dass in diesem
Unternehmen - wie in Dutzenden anderen - auf Teufel komm raus
geschummelt wurde, überrascht wenig. Aber warum ist das den hoch
bezahlten Wirtschaftsprüfern, Analysten und Fondsmanagern nicht
aufgefallen?
In Wirklichkeit haben viele gesehen, dass die neuen Börsenkaiser
keine Kleider trugen. Doch wer dies offen sagte, verspielte die
Chance, Millionengewinne aus der kollektiven Dummheit zu schlagen.
Zyniker unter den Finanzhaien stiegen rechtzeitig aus und verkauften
ihre Papiere an kleine Anleger, die erst am Höhepunkt des Börsenbooms
einstiegen. Doch viele Profis glaubten der eigenen Propaganda und
sind daher genauso auf die Nase gefallen wie die normalen Bürger, die
nun ihre Ersparnisse und Pensionen schrumpfen sehen.
Dass Seifenblasen immer platzen, weiß jedes Kind. Bloß in der
Finanzwelt glaubten viele nicht mehr an die Gesetze der Physik,
besonders nachdem die scharfen Kursrückgänge von 1987, 1991 und 1997
rasch wieder aufgeholt worden sind. Diesmal ist es anders: Seit
Frühjahr 2000 befinden sich die Weltbörsen in einem Seitwärtstrend,
der nun zunehmend abwärts zeigt. Das gefährdet auch die Erholung in
den USA. Denn die Konsumausgaben blieben nach dem 11. September
stabil, weil Anleger hofften, auch die Börsenkrise aussitzen zu
können.
Ohne raschen Aufschwung werden aber die Unternehmensgewinne nicht
steigen. Auf dieser Erwartung basieren die immer noch hohen
Aktienkurse. Auch ohne Betrugsskandale sind die kurz- und
mittelfristigen Aussichten für die Börsen daher düster.
Dennoch muss diese Baisse nicht in einer neuen Weltwirtschaftskrise
münden. Nach 1929 führte nicht der Börsenkrach, sondern die falsche
Reaktion der Regierungen und Notenbanken zum ökonomischen Absturz.
Das Platzen einer Blase schafft Raum für kluge Unternehmer, die
wissen, dass wirtschaftliche Werte nicht über Nacht geschaffen
werden. Und Anleger lernen, dass höhere Gewinne immer nur mit höherem
Risiko erkauft werden können. Auch der ärgste Kater geht vorüber.
Rückfragehinweis: Der Standard
Tel.: (01) 531 70/428
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