"Tiroler Tageszeitung" Kommentar: "Krise des Vertrauens" (Von Claus Reitan)
Ausgabe vom 15. Juni
Innsbruck (OTS) - Natürlich traut bei uns nahezu jeder den meisten anderen fast alles zu. Das gehört zum schlechten Unterton im Umgang miteinander. Seine Lautstärke gewinnt dieser Missklang aus der allgemeinen Lebenserfahrung selbst dann, wenn das Gute überwiegt. Aber die atemberaubenden Vorfälle der vermuteten Bereicherung und Regelwidrigkeit in einem Fußballverein und in einem Finanzamt in Tirol sind in den gegenwärtig abschätzbaren Ausmassen neu. So, wie es ebenfalls überrascht, dass sich Banken nach Ansicht der Europäischen Kommission wettbewerbswidrig verabreden, was die Betroffenen allerdings heftig bestreiten.
Da geht es im Großen, man nehme alles in allem, nicht da um eine Villa, dort um ein Auto, hier um eine Steuerhinterziehung, wo anders um ein Kartell. Es geht nicht da um einen Job in der Sozialversicherung, dort um eine Machenschaft in einem Ministerium. Es droht vielmehr eine Krise des Vertrauens und folglich eine der Institutionen. Einer Finanz, die Steuern eintreibt aber auch stundet. Einer Krankenkasse, die sich einmal mehr, einmal weniger kulant verhält. Einer Behörde, die einen Verein kontrolliert, den anderen nicht. Eines Finanzministeriums, das eine Dienst- und eine Bankenaufsicht zu erfüllen hat, ohne sie offenbar wirklich auszuüben. Da bleiben der Bürger und sein Vertrauen in den Sinn von Regeln, in die Korrektheit von Behörden und die Berechenbarkeit von Vorgängen auf der Strecke. Die Folgen schleichen sich bereits an.
In den USA und in Deutschland genießen die Regierungen nur knapp mehr an Vertrauen als nicht-staatliche Organisationen. In Frankreich und in Großbritannien haben diese die Regierung und das Wirtschaftsleben an Vertrauen schon abgehängt, ergab eine Umfrage der in New York ansässigen Edelman PR-Gruppe.
Was sich da abzeichnet? Eine Jugend, die Gegnern der Globalisierung mehr vertraut als dem Währungsfonds, die Greenpeace schätzt aber nicht die Öl-Konzerne, die für die Caritas tätig ist und die Kirche kritisiert. Die sich privat sehr wohl auch sozial engagiert, aber die Gremien für den Nachwuchs an Parteijugend mit ihrem diesbezüglichen Desinteresse trocken legt.
Es sind diese Folgen, die die gegenwärtigen Skandale so problematisch machen.
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