• 27.02.2002, 17:38:42
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DER STANDARD-Kommentar: "Undramatisches Ende einer Ära: Die Aufgabe des Schilling ist ein Produkt der Vernunft, nicht der Euphorie" (von Helmut Spudich) -

Erscheinungstag 28.2.2002

Wien (OTS) - Ein Schilling ist ein Schilling ist ein Euro. Diese
Gleichung gilt zwar nicht in Hinblick auf die Umrechnung der
Währungen, die die Republik Österreich in den vergangenen achtzig
Jahren begleiteten (schön wär"s). Aber sie gilt in Hinblick auf die
Kontinuität, die damit zum Ausdruck kommt.

Der Schilling der Ersten Republik, obwohl erst Ende 1924 eingeführt,
markierte den Übergang von der großen zentraleuropäischen
Habsburgermonarchie zur kleinen mitteleuropäischen Republik, die
nicht so recht an sich glauben wollte. Untergang und "Anschluss"
waren die Folge, ein Zwischenspiel der Reichsmark, Untergang und
Wiederauferstehung führten zum Schilling der Zweiten Republik. Mit
dieser Währung ist das Land gut gefahren. Eine für den
österreichischen Minderwertigkeitskomplex überraschende
Wirtschaftskraft erlaubte über weite Zeitstrecken die Koppelung des
Schilling an die D-Mark des Wirtschaftswunderlandes Deutschland.

Jetzt hat Österreich diesen Schilling unwiderruflich in den Euro
eingebracht, und das Bemerkenswerte daran ist in erster Linie, dass
dies unaufgeregt, reibungslos, ohne Wertverlust und ohne den
Hintergrund kontinentaler Krisen und Kriege geschieht.

Denn üblicherweise sind Währungsreformen stets nur unter höchst
dramatischen Umständen erfolgt, sei es wie nach dem Zerfall der
Monarchie und der anschließenden galoppierenden Inflation, bei der
Annexion und Selbstaufgabe 1938 oder wenn sich der Staat durch den
verordneten Wechsel zu ungünstigeren Konditionen ein Körberlgeld
verschaffen wollte, wie dies im 19. Jahrhundert beim Übergang von
Gulden zu Kronen der Fall war.

Ganz im Gegenteil: Der Euro entstand ganz ohne Not oder, wenn man das
gelästerte Wort nicht scheut, in Weiterführung einer großen Vision,
die mit der europäischen Verschränkung von Kohle und Stahl ihren
Anfang nahm und jetzt in die Währungsunion führte. In der
Größenordnung des Euro, der vorerst zwölf Währungen für rund 300
Millionen Menschen ersetzt, ist dies tatsächlich eine historische
Leistung: ein Schritt in die Zukunft statt eines Kraftakts zur
Krisenbewältigung.

Dabei braucht die Begeisterung der Österreicher und anderer EU-Bürger
für den Euro nicht zu Euphorie hochgeredet werden. Die Groschenzähler
sind weiterhin unterwegs, um vermutete Teuerungen zu verhindern oder
aufzudecken, was gut ist. Bei vielen Dingen wird der Schilling noch
lange "innere Währung" bleiben, Gewöhnung kommt nicht über Nacht.

Aber die neue Währung wurde akzeptiert, und es ist gerade die
Vernunft an der Sache, die zählt. Denn Symbole wie das Geld in der
Tasche brauchen uns nicht "glücklich" oder "euphorisch" machen - zu
viel von diesen und anderen Emotionen sind der Stoff, aus dem das
Unglück Europas in den vergangenen Jahrhunderten gewebt wurde. Auf
ein solches Übermaß an Emotionen können wir auf der Ebene von Staaten
gut und gern verzichten - die heimische Innenpolitik ist
anschauliches Beispiel dafür, welchen Schaden populistische
Emotionalisierung anrichten kann.

Den Euro jedoch als "geschichtsloses Reißbrettprodukt" gering zu
schätzen, wie ihn der Philosoph Konrad Paul Liessmann in dieser
Zeitung bezeichnete, ist verfehlt. Zum einen ist der Vorgang der
europäischen Währungsunion alles andere als geschichtslos: Er ist
geradezu eine Hervorbringung der europäischen Geschichte.

Zum anderen ist die Rationalität des politischen Reißbretts mit
diesem funktionierenden Ergebnis ein gelungenes Herzeigeprodukt der
Europäischen Union, was ob der tagtäglichen Kleinkariertheiten von
"Staatenlenkern" leicht übersehen werden kann. Dabei kann auch keine
Rede davon sein, dass wir (oder die Bürger der anderen Euroländer)
ohnedies keine Wahl gehabt hätten: Großbritannien, Dänemark und
Schweden haben die Alternative gewählt, deren Sinn sie jetzt erst
beweisen müssen.

Rückfragehinweis: Der Standard

Tel.: (01) 531 70/428

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