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"Kleine Zeitung" Kommentar: "Die Niederung des Alltags" (von Erwin Zankel)

Ausgabe vom 3.2.2002 *

Graz (OTS) - Was ist von der Stimmung des Anfangs zur Halbzeit übrig geblieben? Wenig. Das heroische Hochgefühl, dem Druck der Demonstranten vor den Toren des Kanzleramts widerstanden und die Sanktionen der 14 EU-Partner unbeschädigt ausgestanden zu haben, ist verflogen. Jetzt zermürbt sich das schwarz-blaue Bündnis im Stellungskrieg gegeneinander und ist schon froh, das verflixte zweite Jahr überstanden zu haben, ohne dass die zerrüttete Ehe vorzeitig gebrochen ist.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Erregungszustand der vergangenen Tage grotesk übersteigert. Die Koalition stand wegen einer Frage kurz vor dem Scheitern, von der beiden Seiten bewusst war, dass sie von der Regierung nicht gelöst werden kann. Das Atomkraftwerk Temelin lässt sich weder durch ein Volksbegehren noch durch ein Veto abschalten. Da auch das Irrationale zur Realität wird, wenn man an das Trugbild glaubt oder sich die Wahnvorstellung einredet, entwickelte sich die Temelin-Kampagne zu einem Sprengsatz für die Koalition, der im letzten Augenblick gerade noch entschärft werden konnte.

Jörg Haider betrieb ein gefährliches Spiel. Der Altparteiobmann machte seine Partei zur Opposition in der Regierung und bediente sich dabei der "Kronenzeitung" als Lautsprecher, deren Herausgeber die Atomangst der Menschen schürte, um ein ganz anderes Ziel zu erreichen: den Sturz des Bundeskanzlers.

Dass dann die Koalition zu Ende ist und die FPÖ für lange Zeit, wenn nicht auf Dauer die Oppositionsbänke drücken muss, weiß natürlich auch Haider. Es ist aber damit zu rechnen, dass er diese Doppelstrategie bei nächster Gelegenheit fortsetzen und bis zur Grenze ausreizen wird, ohne es letztlich auf den Bruch ankommen zu lassen.

Lustiger wird das Regieren in der zweiten Halbzeit jedenfalls nicht. Weder für Susanne Riess-Passer, deren ohnehin nicht sehr gefestigte Autorität dadurch unterminiert wird, noch für Wolfgang Schüssel, weil die Scheinwerfer auf den Störenfried aus dem Bärental gerichtet sein werden und die Schlagzeilen dem x-ten Geheimplan Haiders zum Marsch auf Wien gehören werden.

Ein Alternativprogramm zu diesem Spektakel kann die Regierung nicht bieten. Keinen Abwehrkampf gegen das übrige Europa, das das kleine Österreich wie einen Aussätzigen behandelte. Im Gegenteil:
Österreich muss als Musterschüler Europas die Osterweiterung vorantreiben und dafür auch Vorleistungen bringen.

Die Wiedervereinigung Europas in Frieden und Freiheit ist ein Jahrhundertprojekt, doch wird sie nicht als Herausforderung, sondern eher als Pflichterfüllung empfunden. Zum Wahlschlager taugt die Osterweiterung nicht. Auch das Nulldefizit ist kein Hit mehr, obwohl die Rüge, die Brüssel Deutschland wegen des Schuldenmachens erteilte, eine Auszeichnung für Finanzminister Karl-Heinz Grasser darstellt.

Dieses Kapitel ist abgehakt. Die Regierung steckt in der Niederung des Alltags. Sie muss zeigen, dass die Sanierung keine Eintagsfliege war und eine Senkung der Abgabenlast möglich ist. Jetzt beginnen die Mühen der Ebene. ****

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