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"Presse"-Kommentar: Das ungleiche Duell (von Andreas Schwarz)

Pressestimmen/Vorausmeldung/Außenpolitik

"Presse"-Kommentar: Das ungleiche Duell (von Andreas Schwarz)

Ausgabe vom 9. Jänner 2002

Wien (OTS). Es ist ein Kampf nach dem Geschmack des Publikums.
Wenn sich zwei
streiten in der Politik, namentlich innerhalb des gleichen Lagers und um einen Posten, dann haben die Medien Hochsaison, und das Fußvolk verfolgt's mit Staunen. Angela Merkel versus Edmund Stoiber im Rennen um die mögliche Nachfolge Gerhard Schröders im Bundeskanzleramt - das ist Brutalität, das ist eine Richtungsfrage der Union, das droht sie nachhaltig zu beschädigen, und am Ende wird Schröder als lachender Dritter aus dem Duell hervorgehen.
Ist das so? Zunächst ist die Frage, wer für die Opposition ins Rennen geht (bei den Regierenden entscheidet meist der Kanzlerbonus), eine ganz normale und die Aufgeregtheit mit allen dunklen Prognosen eine artifizielle. Der gegenwärtige Fall birgt vielmehr ein klassisches Déjà-vu, das als Beleg dafür dienen darf:
Vor vier Jahren stand die SPD vor der klassischen K-Frage. Der Parteivorsitzende (Oskar Lafontaine) wollte, und der Landeschef aus dem Norden (Gerhard Schröder) wollte auch und kratzte keck am scheinbar automatischen Anspruch des Parteichefs auf die Kanzlerkandidatur. Das Ergebnis ist bekannt: Schröder hatte in allen Umfragen die Nase weit vorn, seine telegene Oberflächlichkeit schlug den verbissenen Ideologen aus dem Feld - und die SPD schaffte den historischen Sieg über Helmut Kohl.
Jetzt ist es ähnlich. Angela Merkel begehrt mit dem Erbpacht-Anspruch des CDU-Vorsitzenden die Kanzlerkandidatur. Und aus Bayern kommt das Begehren Edmund Stoibers, das zu schaffen, woran Franz-Josef Strauß einst gegen Helmut Schmidt gescheitert ist: die CSU zum Maß aller Dinge nicht nur in Bayern, sondern auch im Kanzleramt zu machen.
Eine Richtungsentscheidung ist die Auseinandersetzung nicht unbedingt. Angela Merkel gilt zwar als liberal, der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber dank seines Stalls als konservativ. In Wirklichkeit stehen beide eher in der klassischen Mitte. Selbst alles andere als CSU-freundliche Blätter wie die "Zeit" charakterisieren Stoiber als einen, der sein scharfkantiges Profil abgelegt habe und ein Politiker sei, der "die Große Koalition schlechthin darstellt"; gleichzeitig kann er ein Abwandern von Wählern nach rechts verhindern.
Wie seinerzeit bei der SPD mehren sich auch in der Union die
Stimmen
für den Herausforderer aus dem Bundesland. Die CDU hatte zwar nie Freude mit Bundes-Ansprüche der Schwesternpartei CSU, aber diesmal ist das anders. Denn Angela Merkel ist zwar energisch, willensstark, durchsetzungskräftig; beliebt ist die rasch aufgestiegene Pastorentochter aus dem Osten in der eigenen Partei aber nicht. Und die CDU weiß um Merkels Schwächen: Sie könnte theoretisch eher im Schröder-Lager fischen, aber ihre Öffentlichkeitswirksamkeit ist im Vergleich zum Kanzler verheerend, ihre Versuche, mit programmatischen Vorstößen Terrain gut zu machen, wirken hölzern. Edmund Stoiber wirkt anders. Er lag in Umfragen immer schon klar
vor
Merkel. Vor einem Jahr, als Gerhard Schröder noch unbesiegbar schien, verspürte der bayrische Landesherr nicht viel Lust, in den Ring zu steigen. Das hat sich geändert. Der Reformkanzler ist angeschlagen, die Union erstmals in Umfragen gleichauf bis leicht voran - jetzt wittert der Bayer seine historische Chance, und Teile der CDU, die Merkel in Richtung Bundespräsidentenamt wegloben wollen, mit ihm.
Das ist nicht brutal. Es beschädigt - Stoiber poltert nicht in Richtung Kandidatur, sondern läßt sich tragen - auch nicht die Union, wie noch unter Strauß. Und wenn es ihr gelingt, nach einer logischen Entscheidung für Stoiber auch geschlossen hinter ihm zu stehen, dann ist noch lange nicht ausgemacht, daß Schröder bei den Herbstwahlen als letzter lacht.

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