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"Die Presse" - Kommentar: "Euro-Alltag mit Schönheitsfehlern" von Miriam Koch

Ausgabe vom 8.1.2002

WIEN (OTS). Es ist verblüffend, wie schnell manchmal Großes vollzogen wird. Im Heimspiel Schilling gegen Euro gibt es schon jetzt einen klaren Sieger: Binnen einer Woche hat der neue Euro im österreichischen Alltag den alten Klassiker verdrängt. Viele Geldtaschen sind bereits schillingfrei, Kassiere gehen davon aus, dass man ohnehin mit dem neuen Geld bezahlt, und so langsam bekommt man ein Gefühl dafür, ob fünf Euro für zwei Bier nun teuer oder billig sind.
Die Umstellung - und das ist schon erstaunlich - ist im Großen und Ganzen problemlos über die Bühne gegangen. Viele Befürchtungen sind - dank einer ernsthaften Vorbereitung und großer Wachsamkeit vieler Institutionen - nicht wahr geworden: Der Euro hat das Leben bis jetzt nicht nachweisbar verteuert, es hat kein Chaos gegeben, selbst die Warteschlangen in den Supermärkten waren nicht länger als sonst. Und in den Banken, wo man sich mitunter bis zu einer Stunde gedulden musste, bis man sein altes Geld in neues wechseln konnte, war die Stimmung gut. Landauf, landab gab es Leute, denen man den Spaß am kollektiven Lernen, am Zählen der noch glänzenden Münzen und auch am Anlass für ausgiebiges Schimpfen ("Des hamma no braucht") angesehen hat.
Dass eine solche unaufgeregte Normalität bei der größten Währungsreform aller Zeiten nicht selbstverständlich ist, zeigt ein Blick nach Italien, das nicht bloß wie wir mit einem mehrstündigen Ausfall aller Bankomaten zu kämpfen hat: Dort wurde das negative Potential, das ein solcher Schritt auch mit sich bringen kann, unterschätzt, Gefahren nicht ernst genommen, Politik, Banken und Geschäftswelt zogen nicht an einem Strang. Das vorläufige Ergebnis:
Der Euro-Befürworter Renato Ruggiero musste seinen Posten als Außenminister räumen, innenpolitisch gibt es eine Krise, die Bankbeamten streiken, fordern mehr Gehalt und meinen, die Geldinstitute seien zu wenig auf die neue Währung vorbereitet. Was dem Vertrauen der Italiener in den Euro mit Sicherheit schadet. Dass sich aber der Euro-Devisenkurs bis jetzt krisenfest erweist und unter den italienischen Eskapaden nicht nennenswert gelitten hat, ist die gute Nachricht in der schlechten.

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