BUNDESRAT: EU-AUSSCHUSS BEFASST SICH MIT EU-ERWEITERUNG UND TERROR Außenministerium: Keine Vorentscheidung für erste Erweiterung
Wien (PK) - Die Erweiterung der EU und Fragen der gemeinschaftlichen Terrorbekämpfung standen im Mittelpunkt der heutigen Sitzung des EU-Ausschusses des Bundesrates. Botschafter Martin Sajdik zeigte sich als Vertreter des Außenministeriums dabei optimistisch, dass auch Polen in der ersten Erweiterungsrunde der EU dabei sein wird. Man dürfe sich von nackten Zahlen nicht verleiten lassen, meinte er im Hinblick darauf, dass mit Polen derzeit weniger Verhandlungskapitel abgeschlossen sind als etwa mit Ungarn oder Zypern. Die Verhandlungen mit den unmittelbaren Nachbarstaaten Österreichs befinden sind Sajdik zufolge auf etwa gleichem Stand - man könne damit rechnen, dass alle zum gleichen Zeitpunkt der EU beitreten werden. Die Grenzkontrollen zu den jetzigen Beitrittskandidaten könnten nach Auskunft eines Vertreter des Innenministeriums, Brigadier Peter Scherer, frühestens im Jahr 2005 fallen.
Oberstaatsanwalt Stefan Benner informierte die Bundesräte und Bundesrätinnen über den aktuellen Stand der Beratungen über die geplanten Maßnahmen der EU zur Terrorbekämpfung, wobei er bekräftigte, dass Österreich am Prinzip der beiderseitigen gerichtlichen Strafbarkeit festhalten wolle.
Eingeleitet wurde die Diskussion im Ausschuss durch Bundesrat Albrecht Konecny (S), der den unterschiedlichen Verhandlungsfortschritt der einzelnen Beitrittskandidaten zur Sprache brachte. Er wies etwa darauf hin, dass mit Zypern oder Ungarn viele Kapitel abgeschlossen seien, während beispielsweise Lettland oder Polen einen deutlichen Rückstand hätten.
Sowohl Konecny als auch Bundesrat Ludwig Bieringer (V) schnitten die Frage der nuklearen Sicherheit an. So wollte Bieringer wissen, ob Österreich in der Causa Temelin "nach so vielen Jahren tatsächlich nur mit leeren Händen" da stehe. Bundesrat John Gudenus (F) äußerte die Befürchtung, dass ein EU-Beitritt Zyperns zu einer Zerreißprobe mit der Türkei in der Zypern-Frage führen könnte. Bundesrätin Renate Kanovsky-Wintermann (F) erkundigte sich danach, ob es in der Frage der Benes-Dekrete und der Avnoj-Bestimmungen Fortschritte gebe.
Botschafter Martin Sajdik unterstrich in seiner Wortmeldung, man solle sich durch die nackten Zahlen der abgeschlossenen Verhandlungskapitel mit den EU-Beitrittskandidaten nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten lassen, da diese nicht wirklich aussagekräftig seien. So hat ihm zufolge Polen beispielsweise deshalb eine Rückstand, weil die alte Regierung manchen Kapiteln vor den nationalen Wahlen nicht zustimmen wollte, um die Themen - z.B. die 7-jährige Übergangsfrist im Bereich des freien Arbeitsmarktes - nicht in den Wahlkampf zu bringen. Mittlerweile sei aber etwa das schwierige Umweltkapitel zu einem vorläufigen Abschluss gebracht worden.
Insgesamt ist es Sajdik zufolge noch zu früh, um eine klare Aussage darüber treffen zu können, welche Staaten tatsächlich als erste der EU beitreten werden. Der Zeitplan sehe jedenfalls einen Abschluss der Verhandlungen bis spätestens Ende nächsten Jahres und die Durchführung des Ratifikationsprozesses im Jahr 2003 vor. Was Zypern betrifft, geht der Vertreter des Außenministeriums davon aus, dass eine Lösung im Einvernehmen mit der Türkei gefunden werden kann.
Die Frage nuklearer Sicherheitsstandards beurteilte Sajdik weniger pessimistisch als Bundesrat Bieringer. Wenn Österreich diese Frage nicht immer wieder thematisiert hätte, "wären wir nicht da wo wir jetzt sind", erklärte er. So seien etwa nukleare Sicherheitsstandards innerhalb der EU am Anfang der Diskussionsprozesses überhaupt kein Thema gewesen.
In Richtung Bundesrätin Kanovsky-Wintermann führte Sajdik aus, Österreich versuche die Bedeutung des Themas Avnoj-Betimmungen und Benes-Dekrete sowohl in der EU als auch bilateral immer wieder zu unterstreichen. Zudem habe man sowohl mit Tschechien als auch mit Slowenien gemeinsame Historikerkommissionen gegründet.
Brigadier Peter Scherer gab als Vertreter des Innenministeriums ein kurzes Statement zum Schengen acquis ab und hielt fest, eine Präzisierung des Zeitmodus hätte dazu geführt, dass nunmehr die Fortschritte der einzelnen Länder besser beobachtet werden könnten. Zudem habe man den Kandidatenländern klar signalisiert, dass sie, um Schengen beitreten zu können, das Gesamtpaket erfüllen müssten und es keine Ausnahmeregelungen für einzelne Staaten geben werde.
Dabei hätten die einzelnen Staaten, so Scherer, den ersten Teil der Kriterien bereits zum Zeitpunkt des EU-Beitritts zu erfüllen. Darunter fielen z.B. funktionierende Grenzkontrollen zu Nicht-EU-Staaten. Stufe zwei - die Abschaffung der Grenzkontrollen - komme nur dann in Betracht, wenn die gesamten Rest-Forderungen des Schengen acquis erfüllt seien. Das betrifft etwa das Visa-Regime inklusive der Aufenthaltstitel sowie die volle Funktionstüchtigkeit des Schengener Informationssystems, wobei Scherer unterstrich, dass die technischen Vorraussetzungen zur vollständigen Übernahme des Schengener Informationssystems in den Beitrittsländern aufgrund der bestehenden Kapazitätsauslastung des Systems frühestens 2005 bestehen würden.
Auf Fragen von Bundesrat Hans Ager und Hannes Missethon (beide V) erklärte der Vertreter des Innenministeriums, auch nach Aufhebung der Grenzkontrollen zu den jetzigen Beitrittskandidaten sei kein Komplettabbau der Grenzgendarmerie vorgesehen, da auch weiterhin die Notwendigkeit bestehen werde, gegen illegale Migration, Suchtgifthandel oder Autodiebstähle vorzugehen.
Oberstaatsanwalt Stefan Benner informierte den EU-Ausschuss über das in Aussicht genommene Anti-Terrorpaket der EU und wies darauf hin, dass die Europäische Kommission zwei Rahmenbeschlüsse - einen über den europäischen Haftbefehl und einen zur Terrorbekämpfung -vorgelegt habe. Beide Punkte würden intensiv behandelt und seien in ständiger Umgliederung und Neufassung.
Mit dem Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl soll, so Benner, das gesamte Auslieferungsrecht zwischen den EU-Staaten neu geregelt werden. Er hält dies für "ein sehr ehrgeiziges Projekt". Im Prinzip gehe es um eine Abschaffung der Auslieferungsvoraussetzungen und eine rasche Übergabe von gesuchten Personen.
Der Rahmenbeschluss Terrorismusbekämpfung umfasst nach Auskunft Benners eine Definition von terroristischen Tatbeständen auf EU-Ebene und in Folge eine Pönalisierungsverpflichtung in Form eines Mindest-bzw. Höchststrafensystems. Der vorliegende Entwurf sehe vor, dass verschiedene Deliktstypen - z.B. Mord oder Entführung - dann als terroristisch zu werten sind, wenn damit bestimmte Ziele wie die Destabilisierung eines Landes oder die Einschüchterung der Bevölkerung erreicht werden sollen. Österreich habe damit kein Problem, sagte Benner.
Zu einer Wortmeldung von Bundesrat Peter Böhm (F) meinte der Experte des Justizministeriums, Justizminister Böhmdorfer habe deutlich gemacht, dass Österreich am Prinzip der beiderseitigen gerichtlichen Strafbarkeit festhalten wolle. Dieser Grundsatz werde im vorliegenden Entwurf der Europäischen Kommission auch nicht in Frage gestellt. Die vorgeschlagene Positivliste betroffener Tatbestände hält Benner allerdings für problematisch, da dies zu Auslegungsschwierigkeiten führen könnte.
Bundesrat Böhm hatte zuvor kritisch vermerkt, dass es aufgrund der erheblichen Unterschiede in den EU-Staaten im Bereich des Strafrechts zu Problemen in der Frage eines europäischen Haftbefehls kommen könnte. Österreichische Gerichte dürften nicht zu einem verlängerten Arm anderer Gerichte werden, betonte er. Auch würden manche Delikte, die in anderen Staaten strafbar seien, in Österreich nicht geahndet. Sowohl Böhm als auch Bundesrat Dietmar Hoscher (S) sehen außerdem Probleme bei der Definition terroristischer Tatbestände.
Mehrheitlich abgelehnt wurde ein Antrag der SPÖ auf Anwesenheit von Justizminister Böhmdorfer bei den Beratungen des EU-Ausschusses des Bundesrates. (Schluss)
Rückfragen & Kontakt:
Eine Aussendung der Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272, Fax. +43 1 40110/2640
e-Mail: pk@parlament.gv.at, Internet: http://www.parlament.gv.at