- 28.09.2001, 18:04:22
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DER STANDARD-Interview: "Ein zutiefst falsches Argument: Als "unakzeptabel" haben die EU-Spitzen Silvio Berlusconis Aussage, die westliche Zivilisation sei der islamischen überlegen,
zurückgewiesen. Außenkommissar Chris Patten erläuterte im Gespräch mit Standard- Redakteur Thomas Mayer die Gründe." - Erscheinungstag 29.9.2001
Wien (OTS)- Standard: Sie haben auf die Erklärung des
italienischen Premiers scharf reagiert, warum? Patten: Er brachte ein
zutiefst falsches Argument. Das macht es für uns extrem schwierig zu
versichern, dass die Verbesserung der Menschenrechte auf der Welt ein
wirksamer Teil unserer politischen Arbeit ist. Wenn wir mit anderen
Ländern über Menschenrechte sprechen, können wir nicht den Eindruck
erwecken, dass wir moralisch über ihnen stehen.
Standard: Weil die Menschenrechte universal sind? Patten: Es gibt
ein universelles Recht auf Unversehrtheit der Person, dass Menschen
nicht terrorisiert werden dürfen oder von Attentätern in die Luft
gesprengt werden.
Standard: Berlusconi würde jetzt sagen, dass dies in islamischen
Ländern eben nicht respektiert werde. Patten: Das ist ein anderer
Punkt. Schauen Sie, ich bin ein praktizierender Christ, und ich habe
den Hintergrund eines europäischen Landes. Ich bin stolz auf viele
Leistungen der christlichen Zivilisation. Wir haben wahrscheinlich
die am meisten zufrieden stellende Balance in der Art, wie Menschen
regiert werden, entwickelt, auch was die Freiheit angeht, die
Solidargemeinschaft. Aber was war im letzten Jahrhundert? Zwei
Weltkriege, die Gaskammern, der Gulag, die schlimmsten Verstöße gegen
Menschenrechte, die man sich vorstellen kann. Wenn wir also den
Eindruck geben, als seien wir überlegen, so ist das zunächst einmal
historisch falsch. Zweitens ist es moralisch falsch. Wenn wir als
Christen an eines intensiv glauben sollten, dann ist das Demut. Und
drittens ist es entsetzlich schlechte Politik, so etwas zu behaupten.
Standard: Berlusconi scheint Islam und die Nichtbeachtung von
Menschenrechten als eines zu sehen. Ist es diese Vermischung, die Sie
so stört? Patten: Ich versuche das aus einer anderen Perspektive zu
sehen. Ich habe fünf Jahre meines Lebens in Asien (als britischer
Gouverneur von Hongkong, Anm.) verbracht zu einer Zeit, in der eine
Menge Leute davon gesprochen haben, dass asiatische Werte den
westlichen Werten überlegen seien. Viele sagten, Demokratie,
gesellschaftliche Freiheiten, das sind nicht die Dinge, um die
Asiaten sich nicht kümmern. Das war verrückt. Die Asiaten machen sich
darüber genauso Gedanken wie die Europäer. Es ist nicht wahr, wenn
man sagt, andere Länder oder andere Zivilisationen seien aus Prinzip
nicht fähig, Demokratie und Wohlstand zu erreichen.
Standard: Der ägyptische Präsident Mubarak sagte, dass die großen
drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam
fruchtbringend kooperieren sollten. Wie hat die EU das bei ihrer
Nahost-Mission aufgenommen? Patten: Seit dem 11. September, dem Tag
der Attentate auf die USA, haben viele begonnen, mehr über den Islam
zu lesen. Wenn sie das tun, sind sie sofort beeindruckt über die
Ähnlichkeiten dieser Religionen und dieser Glaubensbekenntnisse, wie
sie in den Büchern stehen. Die historischen und kulturellen Dinge,
die sie verbinden. Das heißt aber auch nicht, dass man sich nicht des
enormen Einflusses des Westens auf den Buddhismus bewusst ist. Es ist
gefährlich, über eine Zivilisation so zu reden, als würde sie von
ihrem Grundsatz her, als Erbe, moralisch über einer anderen stehen.
Standard: Welche Auswirkungen kann Berlusconis Aussage haben? Wird
sie die Gefühle gegen Moslems anheizen? Patten: Ich hoffe nicht. Die
Erklärungen, die der italienische Regierungssprecher abgegeben hat,
gehen dahin, dass Berlusconi nicht dies zum Ausdruck bringen wollte,
wie manche Leute glaubten. Aber für Kirchenführer, für Politiker, für
die Wissenschaft gilt, dass sie offensiv werden müssen und öffentlich
genau jene Dinge deutlich machen, die ich genannt habe.
Rückfragehinweis: Der Standard
Tel.: (01) 531 70/428
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