- 23.08.2001, 17:36:24
- /
- OTS0189 OTW0189
"Die Presse" Kommentar: "Die postsowjetische Welt" von Burkhard Bischof
Ausgabe vom 24. August 2001
Die postsowjetische Welt
VON BURKHARD BISCHOF
Es hätte alles viel schlimmer kommen können. Der Zerfall der
Sowjetunion, beschleunigt vor zehn Jahren durch einen stümperhaften
Putschversuch orthodox-kommunistischer Spitzenfunktionäre mit
Alkoholproblemen - hätte auch ganz anders verlaufen können: Keine
Implosion eines multiethnischen Staatswesens, das jahrzehntelang nur
durch das eiserne Regime einer Einparteiendiktatur zusammengehalten
wurde, sondern die Explosion der Union; ein Bürgerkrieg, wie ihn das
Land schon einmal in den zwanziger Jahren erlebt hatte, ein
entsetzliches Blutbad.
Es ist Gott sei Dank nicht zu diesem Horrorszenario gekommen,
wenngleich in den meisten der postsowjetischen Staaten im
vergangenen Jahrzehnt Blut geflossen ist und noch immer fließt - im
Kaukasus, in Zentralasien, auch in Rußland selbst.
Von den 15 ehemaligen Sowjetrepubliken haben die drei baltischen
Staaten ihr Schicksal am besten gemeistert. Esten, Letten, Litauer
hatten sich niemals mit dem sowjetischen Joch abgefunden, konnten
anknüpfen an die kurze Periode der Unabhängigkeit in den zwanziger
und dreißiger Jahren. Sie orientierten sich konsequent an westlichen
Traditionen, schreckten auch nicht vor schmerzhaften Reformen zurück
und konnten auf die Hilfe insbesondere ihrer skandinavischen Freunde
bauen. Heute verhandeln die drei Ostseerepubliken mit der EU über
ihren Beitritt und drängen, Moskaus Drohungen negierend, in die
Nato. Auch in den baltischen Staaten sind die postkommunistische
Eliten nicht von der Bildfläche verschwunden. Aber diese haben einen
Wandel hin zur Sozialdemokratie vollzogen, haben sich der
Notwendigkeit radikaler Reformen nicht verschlossen.
Ganz anders das Bild in den zentralasiatischen und transkaukasischen
Nachfolgerepubliken, auch in der Ukraine und in Weißrußland:
Dieselben grauen Parteifunktionäre, die nur das kommunistische
Mäntelchen abgestreift und das nationalistische angezogen haben,
bestimmen den Lauf der Dinge. Die meisten von ihnen sind lächerliche
Figuren, die nur ein politisches Geschäft meisterhaft beherrschen:
den Machterhalt. Die Fixierung auf dieses Ziel ließ die erstarrten
Herrschaftsstrukturen unangetastet - reformiert wurden vor allem
jene Verfassungsbestimmungen, die den Verbleib an der Macht
ermöglichen und diese Macht in den Händen des Präsidenten
konzentrieren. Die Funktionäre blieben, Strukturen blieben - große
Veränderungen und eine anhaltende Gesundung der postsowjetischen
Staaten und Gesellschaften blieben hingegen aus.
Das gilt weitgehend auch für den größten und wichtigsten
Nachfolgestaat der UdSSR: die Russische Föderation. Die innere
Stabilität, die Präsident Wladimir Putin nach den turbulenten Jelzin-
Jahren zuwege gebracht hat, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß
Rußland ein krankes Land geblieben ist. Das zeigt gerade auch der
ständige Bevölkerungsrückgang der vergangenen zehn Jahre - allein im
ersten Halbjahr 2001 schrumpfte die Einwohnerzahl wieder um fast
eine halbe Million Menschen.
Schon wahr: Putin hat eine Reihe von Reformprojekten in Angriff
nehmen lassen, allein ihre konsequente Umsetzung läßt auf sich
warten. Seine Bemühungen werden auch konterkariert von Tendenzen,
den autoritären Staat als Wunderheilmittel gegen alle Defizite des
Landes anzusehen. In der Ära Putin kommt noch dazu, daß die im KGB
großgewordenen Geheimdienstler an alle wichtigen Schalthebel der
Macht gehievt werden.
Zehn Jahr nach dem August 1991: Nicht alles ist dort schiefgelaufen,
wo einst der imperiale Sowjetstaat existiert hatte. Aber vieles
hätte viel besser laufen können, wären neue, ideenreiche Leute an
die Macht gekommen. Die postsowjetische Periode ist noch lange nicht
zu Ende.
Rückfragehinweis: Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | PPR/PPR






