"Die Presse"-Kommentar: "Kopf und Bauch" (von Andreas Schwarz)
Ausgabe vom 11.6.2001
WIEN (OTS). Es unterscheidet sich von einem Volksfest nur durch den Anlaß: T-Shirt-Verkäufer, Eis-Buden, mobile Toilettekabinen und Übertragungswagen von TV-Stationen - um das Bundesgefängnis von Terre Haute in Indiana ist heute regelrecht der Bär los. Schließlich blickt die ganze Nation in Richtung Todestrakt, wo Häftling 12076-064 vor 30 Augenzeugen per Injektion seiner - nach amerikanischem Recht gerechten - Strafe zugeführt werden soll.
Der Häftling ist nicht irgendeiner, sondern der Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh. Er hat 168 Menschenleben auf dem Gewissen, inmitten eines vom Terror bis dahin weitgehend verschonten Amerikas. Jetzt nimmt dieses Amerika teil an seinem Ende - daß sich die Nation mit dem Rundherum begnügen muß und nicht via Liveübertragung auch noch bei der Hinrichtung dabei sein darf, ist US-Gerichten zu verdanken; aber immerhin die Angehörigen der Opfer können per Video-Schaltung zusehen.
Gegner der Todesstrafe haben es da schwer. Noch vor gut einem halben Jahr, als der Gouverneur des hinrichtungsfreudigsten Bundesstaates (Texas) um die Präsidentschaft warb, war jede Exekution Anlaß für eine Debatte über das barbarische Rechtssystem. Der Umstand, daß sich immer mehr Todeskandidaten als Opfer von Justizirrtümern entpuppten, daß seit 1973 mehr als 90 fälschlich zum Tode Verurteilte wieder frei kamen, daß niemand weiß, wieviele nicht mehr rechtzeitig rehabilitiert wurden, das alles ließ die Stimmung selbst im puritanischen Amerika langsam kippen: Die Zustimmung zur Todesstrafe sank zeitweise auf unter 50 Prozent.
Dennoch ist mit einer Kampagne gegen die Todesstrafe in den USA noch kein Staat zu machen. Und wenn dann einer zur Exekution ansteht wie McVeigh, wo die Dinge ganz klar liegen . . .
In den anderen westlichen Demokratien regiert der Kopf, der schon auf einer ganz anderen Ebene als der des möglichen Irrtums nein zur Todesstrafe sagt. In den USA dagegen regiert der Bauch, der just im Hort der Menschenrechte das unerträglichste Mittel der Justiz zuläßt. Fälle wie der des Timothy McVeigh werden daran vermutlich auch noch lange nichts ändern.
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