• 07.05.2001, 18:02:41
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DER STANDARD-Kommentar: "Nur wenige Vorzeige-Stachanows - In immer kürzeren Abständen wird am Pensionssystem herumgedoktert" (von Eva Linsinger)

Wien (OTS) - Es ist kein Zufall, dass sich derzeit vor allem
Journalisten und Manager quer durch Diskussionsrunden als freiwillige
Stachanows feiern lassen und das Loblied der Arbeit bis ins späte
Alter singen. Ist doch für sie die Pension nicht nur mit teils
beträchtlichen Einkommensverlusten ("dank" der ASVG-Höchstpension von
rund 30.000 Schilling brutto), sondern auch mit gesunkenem
Sozialprestige verbunden. Wenn Weiterarbeiten sich finanziell lohnt,
dazu das Selbstbewusstsein hebt und körperlich keine Probleme
bereitet, gibt es wenig Grund, sich früh zur Ruhe zu setzen.

Die Vorzeige-Stachanows sind aber die große Ausnahme im
Frühpensionistenland Österreich: Nicht mehr als 41 Prozent der 55-
bis 59-Jährigen und dürftige 11,7 Prozent der 60- bis 64-Jährigen
sind in Österreich noch erwerbstätig - und arbeiten sich wenigstens
annähernd an das gesetzliche Pensionsalter von 65 Jahren heran. Auch
das ist kein Zufall: Wurde doch das Pensionssystem jahrzehntelang als
Arbeitsmarktinstrument missbraucht.

Das nützte dem Image der (staatsnahen) Unternehmen, die
reihenweise Beschäftigte nicht in die Arbeitslosigkeit, sondern in
die Frühpension schickten. Das nützte auch den Bilanzen - jüngere
Arbeitnehmer sind billiger als ältere. Das gefiel vielen
Arbeitnehmern, die gerne die Pensionisten- der Werksbank vorzogen.
Und nicht zuletzt war es politischer Konsens, lieber hohe
Frühpensionisten- statt hohe Jugendarbeitslosigkeitsraten zu
produzieren.

Während der langjährigen Praxis, Ältere in die Frühpension zu
entsorgen, sanken die Geburtenraten, die Lebenserwartung stieg, immer
weniger Erwerbstätige standen immer mehr Pensionisten gegenüber -
kurz: Das System wurde immer schwerer finanzierbar. Daran haben die
Pensionsreformen der Jahre 1997 und 2000 nicht wirklich etwas ändern
können, wenn auch beide Schritte in die richtige Richtung gingen.

Viel zu kleine Schritte allerdings - wie schon das Verfallsdatum
zeigt: Die Pensionsreform 1997 hielt nur bis 2000, und der
Pensionsreform 2000 folgt schon jetzt die nächste Debatte über
"Arbeiten bis 65". Und auch diese Diskussion wird von der nächsten
gefolgt werden, wenn statt einer grundlegenden Pensionsreform in
immer kürzeren Abständen wieder nur ein bisschen am Pensionssystem
herumgedoktert wird. Denn das Grundargument ist nicht
wegzudiskutieren: Längere Lebensdauer erfordert eine längere
Lebensarbeitszeit.

Wie die erreicht werden kann, dazu haben Experten schon einiges
Hirnschmalz in Studien fließen lassen: Erstens lohnt es sich in
Österreich generell zu sehr, in Frühpension zu gehen - weil, wie
manche Wissenschafter meinen, die Abschläge für die Frühpension zu
niedrig sind. Zweitens werden zwei Bevölkerungsgruppen mit einem
niedrigeren Pensionsalter beschenkt: öffentlich Bedienstete und
Frauen. Die Ausnahmeregelungen für beide sind nicht
aufrechtzuerhalten - Änderungen brauchen aber sowohl Übergangszeiten
als auch Ersatzlösungen, etwa eine ausreichende Anrechnung der
Kinderbetreuungszeit für die Pension. Drittens aber ist gerade in
körperlich anstrengenden Berufen, wo zudem ab 15 gearbeitet wird,
längeres Weiterarbeiten gesundheitlich schwer möglich.

Um diese unterschiedlichen Voraussetzungen in eine gerechte Reform
zu gießen, ist viel Fantasie gefragt - und eine Zusammenarbeit der
Regierung mit den Sozialpartnern. Derzeit richten sich beide
gegenseitig Vorwürfe aus, was zwar Zeitungen und Fernsehsendungen
füllt, aber niemandem hilft.

Jedes Nachdenken über eine längere Lebensarbeitszeit setzt eine
Bedingung voraus: einen funktionierenden Arbeitsmarkt für Ältere.
Solange Frauen ab 40 und Männer ab 50 Jahren als unvermittelbar
gelten, solange jeder zweite Frühpensionist vor dem Ruhestand
arbeitslos wird, so lange kann jede Debatte über eine Anhebung des
faktischen Pensionsalters von den Betroffenen vor allem als eines
empfunden werden - als schlicht zynisch.

Rückfragehinweis: Der Standard
Tel.: (01) 531 70/428

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