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Rechtsstaat und Rechtskultur

Anmerkungen zu einer Grundsatzerklärung
(Von Hans Köppl)

Ist es bloß Oberflächlichkeit oder ist es symptomatisch für das vorherrschende Verständnis? In dem fast 1000 Seiten starken Handbuch des politischen Systems Österreichs, laut Einleitung die umfassendste Gesamtdarstellung der österreichischen Politik, ist dem Rechtssystem Ð sieht man von Anmerkungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit ab Ð nicht einmal ein Unterkapitel gewidmet. Immerhin ist Österreich ein Rechtsstaat, in dem der Grundsatz der Gewaltenteilung gilt. Nach diesem Prinzip ist die Gerichtsbarkeit unabhängig, die Richter sind bei der Ausübung der Rechtsprechung weisungsfrei.
Es wäre verfehlt, aus dieser Unterlassung Schlüsse ziehen zu wollen. Doch dass es mit dem grundlegenden Verständnis gegenüber dem Rechtsstaat nicht zum Besten bestellt ist, darf füglich angenommen werden. Nicht von ungefähr zeigt sich ein hoher Richter öffentlich um die Rechtskultur im Lande besorgt. Nicht erst die bösartigen Angriffe freiheitlicher Politiker auf Staatsanwälte und Richter in der allerjüngsten Zeit geben Anlass zur Besorgnis, die Missachtung der Unabhängigkeit der Justiz hat durchaus Tradition. Die SP, die sich jetzt zum Schutzpatron des Rechtsstaats aufspielt, hat sich in früheren Affären, in die ihr nahestehende Personen verwickelt waren, im Grunde nicht anders verhalten als heute die FP. Der Ton war bloß nicht so rüde.

Einer neuen Tonart entspricht auch die Grundsatzerklärung über die Stellung der Rechtsprechung in Staat und Gesellschaft, die gestern gemeinsam die Präsidentin der Richtervereinigung und der Präsident der Staatsanwältevereinigung und der Justizminister veröffentlichten. Offenbar bedarf diese Regierung immer wieder der formellen Bestätigung, dass grundsätzlich Selbstverständliches in einer parlamentarischen Demokratie auch tatsächlich beachtet wird. Ein deutlicher Unterschied zur Präambel vor der Regierungserklärung besteht allerdings doch: Erschöpft sich diese in der Auflistung allgemeiner Rechtsgrundsätze, nennt die Erklärung von Richter-Präsidentin Barbara Helige, Staatsanwälte-Präsident Friedrich Matousek und Justizminister Dieter Böhmdorfer die Undinge beim Namen: versuchte Einflussnahmen durch die Politik, mögliche vorverurteilende Einflüsse aber auch durch eine, wie es heißt, vorschnelle Berichterstattung.

Da wird man freilich hellhörig. Wenn die Medien ebenso wie die Politik und Verfahrensbeteiligte um Zurückhaltung bei öffentlichen Äußerungen gebeten werden, ist daran nichts auszusetzen, hier wird Selbstverständliches angesprochen. Es macht aber einen Unterschied, wenn politische Mandatare, noch dazu im Schutz der Immunität, die Ablösung eines Richters fordern, in den Medien dagegen Details aus laufenden Verfahren veröffentlicht werden. Die Medien sind, was Unschuldsvermutung und Persönlichkeitsrechte betrifft, einem strengen und sehr schnell einklagbaren Recht unterworfen und in der Regel deshalb sehr vorsichtig. Es ist sehr leicht, die Medien an Rechtskultur zu erinnern, doch ist unter Rechtskultur auch jene Offenheit zu verstehen, die das Gegenteil von Vertuschen ist.

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